- aus der 75. Ausgabe der LUST
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  - Gegen die Kommerzialisierung unseres Lebens
 Sie muss schon Geld in der Tasche haben, wenn sie begreift, dass
  sie solche Frauen finden möchte, die mit ihr zumindest die
  Nei-gung teilen. Das ist nicht einfach. Es gibt Lokale von Frauen
  für Frauen, Zeitschriften mit Kontaktanzeigen, Web-Sites
  mit Kontaktan-zeigen und sogenannte Events, also größere
  Veranstaltungen für Frauen und Frauen. Aber ist das die
  ganze Wahrheit?
 Er muss schon Geld in den Taschen haben, wenn er begreift, dass
  er solche Männer finden möchte, die mit ihm zumindest
  die Nei-gung teilen. Das ist nicht so einfach. Es gibt Lokale
  von Männern für Männer, Zeitschriften mit Kontaktanzeigen,
  Web-Sites mit Kontakt-anzeigen und sogenannte Events, also größere
  Veranstaltungen für Männer und Männer. Aber ist
  das die ganze Wahrheit?
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  - Wo leben wir denn?
 Wir leben unter den Bedingungen der Marktwirtschaft. Egal um
  wel-che Lebensumstände es sich handelt, es hat sich überall
  dort, wo es sich rentiert, also für irgendjemanden ausreichende
  Gewinne abwirft, eine marktwirtschaftliche Lösung entwickelt.
 Überall? Nicht ganz. Bei den marktwirtschaftlichen Lösungsversu-chen
  menschlicher Bedürfnisse gibt es eine Abgrenzung gegenüber
  den Bereichen, deren Befriedigung keine Verzinsung des investierten
  Kapitals verspricht, wie es betriebswirtschaftlich so schön
  heißt.
 In der Betriebswirtschaftslehre wird zwischen wirtschaftlichen
  und freien Gütern unterschieden. Freie Güter sind demnach
  solche, die nicht knapp sind, so dass man damit auch nicht wirtschaften
  kann, so dass man damit also keine Gewinne machen kann: Sand
  in der Sahara, Meerwasser im Meer usw. Also niemand kann aus
  uns Gewinne her-ausholen, wenn wir als Freundinnen oder Freunde
  zusammen stehen, denn Freund sein, das kann jeder Mensch, sofern
  man sich gefunden hat. Aber die Orte, wo man sich finden kann,
  da kann jemand die hand aufhalten und seine gewinne machen. Und
  an Sexualität zum Beispiel fehlt es uns alle nicht. Nur
  an den Orten, wo man versucht, die ent-sprechenden PartnerInnen
  zu finden, dort lassen sich Gebühren erhe-ben.
 Also, das nicht Wirtschaftliche, was im Überfluss vorhanden
  ist, be-kommt keine marktwirtschaftliche Lösung, weil man
  damit keinen Profit abschöpfen kann. So können sich
  also aus der Summe der Be-dürfnisse nur solche Bedürfnisse
  marktwirtschaftlich beziehungsweise kommerziell in Ansätzen
  erfüllen, für die keine Angebote im Über-fluss
  vorhanden sind, für die also dann auch wirtschaftliche Angebote
  vorliegen. Und deshalb ist es im Marktwirtschaftlichen Interesse:
  Er-folgreiche Kontakte und Freundschaften, die sich selbst genügen,
  müssen knapp bleiben. Noch besser: es werden nur solche
  Bedürfnisse als solche anerkannt, propagiert und glorifiziert,
  die auf wirtschaftli-che Weise zu befriedigen sind. Die menschlichen
  Sehnsüchte werden also getrennt, und zwar zwischen den guten
  und wahren, also den wirtschaftlich zu befriedigenden Sehnsüchten,
  und den anderen, die in der Wirtschaft weniger beliebt sind.
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  - Es gibt demnach 
 1. menschliche Bedürfnisse, die wirtschaftlich zu befriedigen
  sind. Hier hält unsere Szene für die, die zahlen können,
  Einiges be-reit. Und es gibt
 1. menschliche Bedürfnisse, die sich sowohl wirtschaftlich
  als auch nichtwirtschaftlich befriedigen lassen. Hier finden
  oft ganz gehässige Auseinandersetzungen zwischen der kommer-ziellen
  Szene und anderen Teilen des lesbischen und schwulen Daseins
  statt. Dann gibt es
 1. aber auch menschliche Bedürfnisse über das Wirtschaftliche
  hinaus, und zwar die wichtigsten, zufriedenstellendsten und nachhaltigsten.
  Diese zählen nicht, da sich einfach nicht wirt-schaftlich
  befriedigen lassen. Schließlich gibt es
 1. Bereiche, für die es keine Lösungen geben soll,
  weil man als Folge der Nichtlösung wirtschaftlich besser
  verdienen kann als wenn die lesbischen und schwulen Menschen
  eine Lösung hät-ten. Dann gibt es aber auch
 2. noch Bereiche, die alle benötigen würden, die aber
  deshalb marktwirtschaftlich nicht gelöst werden können,
  weil es für sie einfach keine lohnende (wirtschaftlich rentable)
  Finanzierung gibt.
- Das sind nun alles recht abstrakte Denkansätze, wollen
  wir sie also mit Beispielen aus unserem Leben erläutern.
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  - 1. Die marktwirtschaftliche Lösung
 (...menschliche Bedürfnisse, die wirtschaftlich zu befriedigen
  sind. Hier hält unsere Szene für die, die zahlen können,
  Einiges bereit. Und es gibt ...)
 Wer sich ständig in der sogenannten Szene aufhält,
  der kennt die marktwirtschaftlichen Programme zur Bedürfnisbefriedigung.
  Die Szene hat für uns besonders zwei Funktionen: dass wir
  in einem Um-feld sind, wo wir uns für unsere Identität
  nicht zu rechtfertigen brau-chen. Und dass es einen Ort gibt,
  wo man hoffen kann, jemanden ken-nen zu lernen.
 Für die dennoch einsamen Nächte gibt es die speziellen
  Hefte, Filme und Web-Sides, mit deren Hilfe man sich selbst befriedigen
  kann, oh-ne sich freilich nachhaltig befriedigt zu fühlen.
  Und es gibt natürlich bestimmte Einrichtungen, in denen
  Leute arbeiten, die ihr Geld mit sogenannten Liebesdiensten verdienen.
  Denn man muss es ja immer wieder kaufen und benötigen, damit
  die Gewinne erhalten bleiben. Es gibt Badehäuser beziehungsweise
  Saunen, wo Mann sich gegenseitig sexuell bedienen kann, manchmal
  arbeiten auch noch Männer dort, die Ihr Geld mit Liebesdiensten
  verdienen. So etwas wird bisweilen in der Lesbenszene vermisst,
  aber eben nicht in dem Maße, dass sich hier eine wirtschaftliche
  Einrichtung rentieren kann. Ach ja, es gibt noch spezielle Telefonnummern,
  unter denen man für ständig steigernde Gebühren
  erotisch anfeuernde Reden hören kann. Dann gibt es noch
  Zeitschriften, in denen frau/man erfahren kann, wo was stattfindet.
  Sie sind meist Werbungsfinanziert und daher sind die "besten
  Plätze" na-türlich die, die auch die größten
  Anzeigen schalten.
 Man erfährt hier auch, wie man gekleidet sein muss und wie
  der kör-perliche Zustand sein muss, damit man in der kommerziellen
  Szene Erfolg hat. Schließlich gibt es noch Kontaktanzeigen
  in den Zeit-schriften und im Web. Und in den begleitenden Artikeln
  erfährt man auch, welche Werte in der Szene gelten, was
  man also dort reinschrei-ben muss und welche man nicht beantworten
  sollte. Die entsprechen-den Fitness-Studios und die Modeboutiquen
  schalten auch ihre Anzei-gen in den entsprechenden Zeitschriften.
 Und so erfahren eine Lesbe der Szene und ein Schwuler der Szene,
  wie man/frau lesbisch oder schwul ist, welche Werte es in der
  Szene gibt und wie man/frau dort eine(n) Frau/Mann finden kann.
  Letztlich auch, zu welchem Zweck frau eine Frau findet und man
  einen Mann.
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  - 2. Die lösbaren menschlichen Bedürfnisse
 (...menschliche Bedürfnisse, die sich sowohl wirtschaftlich
  als auch nichtwirtschaftlich befriedigen lassen. Hier finden
  oft ganz gehässige Auseinandersetzungen zwischen der kommerziellen
  Szene und anderen Teilen des lesbischen und schwulen Daseins
  statt. Dann gibt es ...)
 Nun gibt es menschliche Bedürfnisse, die sich sowohl wirtschaftlich
  als auch nichtwirtschaftlich befriedigen lassen. So kann Mann
  Direkt-Kontakte z. B. in einem House of Boys oder einem Lokal
  mit Darkroom oder einer Sauna bekommen, was überall mehr
  oder weni-ger Geld kostet. Mann kann diese aber auch auf einer
  Klappe, in ei-nem Park oder im Wäldchen hinter einer Autobahnraststätte
  bekom-men. Das kostet zwar nichts, kann aber letztlich doch recht
  kostspielig werden, denn hier sind auch bisweilen Kleinkriminelle
  zu finden, die den nach Befriedigung drängenden Mann ausplündern
  wollen, von aufgehetzten Zeitgenossen ganz zu schweigen. Man
  kann im Prinzip überall auch andere Menschen erst einmal
  kennen lernen, beim Spa-ziergang, im Sportverein oder sonstwo,
  und unter ihnen sind vielleicht einige, mit denen man dann nach
  und nach Direktkontakte bekommen kann. Dieses Verfahren ist aber
  recht mühselig, von der Möglichkeit falscher Einschätzungen
  und ihrer Folgen ganz zu schweigen.
 Besser geht's mit Anfreundungsversuchen lesbischer Frauen mit
  He-tenfrauen und schwuler Männer mit Hetenmännern überall,
  wo es sich trifft. Da bleiben aber so Manche und so Mancher oft
  völlig unbefrie-digt, denn diese Freundschaften finden oftmals
  eine harte Grenze, und zwar genau da, wo wir etwas mehr bräuchten,
  was aber Heten gar nicht so sehen. Sie empfinden unser Buhlen
  um ihre Gunst als ange-nehm und halten es für selbstverständlich,
  dass wir ihnen auf Dauer derart aufopferungsvoll entgegenkommen,
  wie wir es tun, weil wir in sie vielleicht verliebt sind. Ja
  sie werfen uns noch vorwurfsvoll vor, uns gehe es nur um das
  Eine, während diese Situation eigentlich nur entsteht, weil
  sie ständig bedacht sind, genau das Eine aus der Freund-schaft
  draußen zu halten. Dafür sind ihnen dann andere Leute
  zustän-dig.
 Es finden oft ganz gehässige Auseinandersetzungen zwischen
  der kommerziellen Szene und anderen Teilen des lesbischen und
  schwu-len Daseins statt. Gruppen und Initiativen, die zum Beispiel
  ein Fest organisieren, werden als Konkurrenz angesehen, die den
  Betrieben die zahlenden Gäste wegnehmen. Ja die Tatsache
  der Existenz mancher Gruppen wird bisweilen an sich schon als
  Konkurrenz empfunden.
 So manche Gruppe würde sich zwar gerne im Hinterzimmer eines
  Szene-Lokales treffen, doch gibt es einfach keine relativ ungenutzten
  Hinterzimmer mehr. Da kann man sich hier also gar nicht ungestört
  treffen.
 So gehört es zum "Guten Ton" in der kommerziellen
  Szene, in kri-tischster und abfälligster Weise zum Beispiel
  über Cruising-Plätze zu sprechen, aber wenn die kommerzielle
  Szene die Erwartungen nicht erfüllt, gehen doch recht Viele
  zu den nichtkommerziellen Cruising-Plätzen. In den Medien
  unserer Szene findet man viele kritische Bei-träge gegen
  diese Plätze, z.B. hat Jan Feddersen, taz-Journalist, nicht
  nur den Soziologen und Sexualwissenschaftler Martin Dannecker
  für dessen Haltung kritisiert, diese Plätze  zu verteidigen.
  Er hat auch noch im bundesweiten CSD-Blatt behauptet, dass es
  solcher Plätze nicht mehr bedürfe. Wo lebt der denn?
- 3. Menschlichen Bedürfnisse, die außerhalb der
  Wirtschaft und der Wirtschaftlichkeit  angesiedelt sind
 (...aber auch menschliche Bedürfnisse über das Wirtschaftliche
  hinaus, und zwar die wichtigsten, zufriedenstellendsten und nach-haltigsten.
  Diese zählen nicht, da sich einfach nicht wirtschaftlich
  befriedigen lassen. Schließlich gibt es ...)
 Homosexualität, genauer, die männliche Version davon,
  war gesetzlich verboten. Also konnte es auch keine legale wirtschaftliche
  Lösung für männliche Homosexuelle geben. Es gab
  natürlich spezielle Kneipen, aber die waren nicht offiziell
  schwul. Man duldete sie teilweise, weil man sich davon versprach,
  dass die Schwulen dann dort konzentriert seien, unter unauffälliger
  Bewachung sozusagen, und die un-schuldigen Jugendlichen an anderem
  Ort nicht sexuelle gefährden würden.
 In den Kneipen nun achteten die Wirte darauf, dass sich dort
  niemand umarmte oder sogar küsste, denn es musste ja immer
  noch der offizielle Anschein gewahrt werden, dass dort jeder
  "normale" Bürger willkommen sei. Es war hier eine
  an Hetennormen und Verhaltensweisen angepasste duckmäuserische
  Szene, in der man übereinander gegenseitig tratschte und
  den Ton gaben einige wohlhabende Kulturtypen an.
 Man lernte sich hier kennen, man mochte sich gegenseitig kaum
  und gab sich Mühe, nicht als Schwuler in Erscheinung zu
  treten. Eigene Medien waren auch nur versteckt vorhanden und
  bedienten eher Ele-mentares: Bilder als Ersatz für Partnerschaft.
  Paare achteten darauf, nicht zusammen das Lokal zu verlassen,
  damit nicht, nachdem man zu jemanden nach Hause gegangen ist,
  nach einiger Zeit ein Rollkom-mando von der Polizei gekommen
  ist, um die beiden bei den "gesetz-widrigen Handlungen"
  zu überraschen, oder um die beiden festge-nommenen so lange
  zu verhören, bis einer dem Druck nicht mehr ge-wachsen war
  und somit sich und den Partner und möglicherweise an-dere
  Partner verriet und damit mit hineinzog. Der aus der Nazi-Zeit
  ü-bernommene § 175 des Strafgesetzbuches schwebte über
  jeder zärtli-chen Geste, und, historisch betrachtet, hat
  der CDU-Staat mehr schwule Männer verurteil als der Nazi-Staat.
  Damit machte sich die CDU zum Todfeind der Schwulen.
 Aufgrund der 68er Revolte, die ja eine politisch linke, eine
  Jugend- und Sexrevolte war, wurden die spießigen Auffassungen
  des rechtsge-richteten CDU-Staates einfach infrage gestellt,
  nicht weiter beachtet. Das  traf natürlich auch auf jugendliche
  Heten zu, wobei zum Teil nicht immer eine Identität hinter
  den experimentellen Handlungen stand. Auch heterosexuell verkehrende
  Jugendliche organisierten sich ihr eigenes Liebesleben und interessierten
  sich nicht mehr für den zwanghaften Verlauf: verliebt, verlob,
  verheiratet. Homosexuell ver-kehrende fanden hier auch ihre Möglichkeiten.
 Es entstand also unter den revoltierenden studentischen Jugendlichen
  eine eigenständige Jugendkultur, in der endlich der repressive
  Ehe-Zwang mit seiner raffgierigen Klammermoral infrage gestellt
  wurde in der auch, als unschöner Fettfleck auf den flatternden
  frisch gewasche-nen roten Fahnen, eine freie Schwulenszene entstand,
  die stolz auftrat, überhaupt nicht verborgen sein wollte,
  gegen Unterdrückung und Dis-kriminierung vorgingen, und
  die all die fürchterlichsten Vorurteile der Spießer
  über Schwule frech übertrieben und grell im Fummel
  betätig-te. Damit gerieten diese jungen Menschen mit homosexueller
  Praxis und einer linksschwulen Identität sie in den Widerspruch
  zur kom-merziellen Szene der heimlichen Lokale, wo man ja bloß
  nicht auffal-len wollte. Und so gab es zwischen diesen beiden
  Fraktionen oftmals sehr böses Blut. In der Subkultur befürchtete
  man, dass diese linken Schwulen die aggressive Aufmerksamkeit
   von der CDU-Moral auf-gehetzter Leute auf die heimlichen Schwulen
  lenken würden.
 Diese neue linke Schwulenbewegung fand besonders auch Unterstüt-zung
  bei der neu entstehenden Frauenbewegung, in der viele Lesben
  waren, und so entstanden frühe Formen der Zusammenarbeit
  von lin-ken Schwulen und linken feministischen Lesben. Neben
  den in den kommerziellen Medien breit diskutierten und diffamierten
  Kommunen und Wohngemeinschaften gründeten sich lesbische
  und schwule Kommunen und Wohngemeinschaften, und man achtete
  im täglichen Leben untereinander überhaupt nicht darauf,
  ob es irgendwelche Ge-setze oder spießige Nachbarn gab,
  die sich als Hilfspolizisten verstan-den, die uns in unserem
  Spielraum einschränken wollten. Man lebte einfach. (Nach
  und nach dann später wurde der § 175 StGB Schritt für
  Schritt abgebaut und durch die Wiedervereinigung schließlich
  abge-schafft, weil es so etwas in der DDR längst nicht mehr
  gab.)
 Zurück zur  68er Revolte: In den neu entstandenen Medien
  der linken Schwulenszene war man sich zuerst einmal darüber
  klar, dass man erst einmal unter den linken Genossen Verständnis
  für schwules Le-ben erwerben musste, unter den linken Frauen
  Verständnis für ein be-freites offensives sexuelles
  Leben ohne Schuldgefühle, um von ir-gendjemanden Rückendeckung
  dafür zu bekommen, dass man dann in der kommerziellen Schwulenszene
  selbst die verspießerten und auf Anpassung bedachten Strukturen
  verändern konnte.
 Man wollte erreichen, dass man als Schwuler stolz leben konnte,
  ohne einerseits ein unterwürfiges Selbstbewusstsein zu haben
  und sich an-dererseits innerhalb der eigenen Szene dafür
  schadlos halten zu wol-len, denn das ist die Kehrseite einer
  auf Anpassung bedachten Politik: Man sieht die Feinde im eigenen
  Lager. Feinde sind dann nämlich die, die unangepasst sind.
  Während die wohlhabenden Herren der Sub-kultur sich ihre
  jugendlichen Gespielen hielten oder zu halten ver-suchten, ohne
  das jemand etwas mitbekommen sollte, waren experi-mentierfreudige
  Jugendliche unter den frechen schwulen Revoluzzern, die alles
  anders machen wollten, als die angepassten anderen. Man verachtete
  auch Leute, die sich ihr Leben lang beschneiden, die ihr Leben
  lang also verlogen und selbstverlogen leben, ihrer wirtschaftli-chen
  Karriere zuliebe.
 Schließlich hatte man das Ziel, in einer (wie man das damals
  so sah) immer kultivierteren, gerechteren und sozialistischeren
  Gesellschaft homosexuelles Leben nicht mehr als ein besonderes
  Leben leben zu wollen. Bestenfalls wollte man selbst was Besonderes
  sein. Man wollte endlich als Mitmensch anerkannt werden, aufgrund
  seines ge-sellschaftlichen Beitrages, den man leistete. Tja,
  so dachten wir uns das.
 Und weil Vieles als verboten oder anrüchig erschien, gab
  es in diesen Bereichen auch kaum marktwirtschaftliche Lösungsversuche,
  was uns den Freiraum schuf, in unseren Reihen eigene Strukturen
  zu entwi-ckeln.
 Es entstanden Gruppen, in denen ältere und auch jüngere
  Schwule zu-sammen gegen spießige gesellschaftliche Strukturen
  in der Gesell-schaft im Bett, in der Subkultur und unter den
  linken Genossen kämpften. Man lebte und liebte zusammen,
  freute sich seines freien Lebens. Hier wurden so ziemlich alle
  gesellschaftlichen Bedürfnisse dieser schwulen Menschen
  befriedigt: man lernte sich gegenseitig kennen, und zwar nicht
  aufgrund besonders teurer Kleidung, sondern aufgrund seines Beitrages
  bei der Revolte für gemeinsame Ziele. Es entstanden Theatergruppen,
  die in jeweils anderen Szenen die Leute aufrütteln wollte.
  Unsere eigene Medien, die uns auch in der Subkul-tur aus den
  Händen gerissen wurden, ermöglichten uns, dort selbstbe-wusstere
  Töne anklingen zu lassen.
 Dabei hatten wir oftmals auch als verbündete manche Wirte,
  die ja schließlich auch gegenüber den Behörden
  oft einen schwachen Stand hatten und die von dem sich neu entwickelnden
  selbstbewussten Kli-ma profitieren wollte. Und damals war es
  auch noch so, dass man in der linken Szene gegenseitig voneinander
  Kenntnis nahm. Man las die Texte der anderen, um zu verstehen,
  was die anderen meinen usw. Die ROSA LÜSTE ist noch immer
  eine solche Gruppe, die LUST ist noch immer eine solche Zeitschrift.
  Das gegenseitige aufeinander Hören änderte sich erst
  mit der zunehmenden Kommerzialisierung, bei der sich kleine Märkte
  gegenseitig voneinander abgrenzten und die Ab-grenzungen ideologisch
  begründet wurden.
 In den selbstverwalteten Jugendtreffs fühlten sich oftmals
  die neu ent-stehende Frauenbewegung und auch Schwulengruppen
  nicht mehr ausreichend zu Hause, frau/man hatte Höheres
  im Sinn, Orte: wo die eigene Fragestellung dominierte. So entstanden
  nun zum Beispiel als männerfreie Zonen,  neue Frauenzentren.
 Es entstanden auch Schwulenzentren in größeren Städten,
  wo anfäng-lich ein guter Austausch zwischen den Generationen
  über Politik, Kultur und tägliches Leben stattfinden
  konnte. Denn zunehmend konnten auch über SPD und nach der
  Gründung der bunten Listen, dann der grünen und alternativen
  Listen über diese Wählerlisten öf-fentliche Mittel
  für solche Einrichtungen bereitgestellt werden, oft-mals
  unter üblen menschenverachtenden Anfeindungen seitens der
  CDU/CSU und der Kirchen. Man kann sagen, dass hier, außerhalb
  ei-nes kommerziellen Einflusses ein lebenswertes Leben entstand.
  Und das alles geschah im Rahmen von gesellschaftspolitischen
  Zielen, auf die man stolz sein konnte.
 Mit dieser Beschreibung will ich von einem vergangenem Leben
  be-richten, was es zur Zeit nur noch in isolierten Inseln gibt,
  und was deshalb derart erblühte, weil das Leben hier nicht
  zerhackt wurde zwi-schen dem guten Leben, dem kommerziellen,
  und dem zu verachten-den Leben.
 Es gibt also ein zufriedenstellendes Leben jenseits des kommerziellen
  (wirtschaftlichen) Gewinnstrebens, das sich auch im zwischen-menschlichen
  Bereich auswirkt, das wollte ich hier nur einmal vor-stellbar
  machen.
 Klar ist, dass dieses Leben dann auch in den eigenen Reihen von
  sol-chen Menschen unterlaufen wurde, die überall unterwegs
  sind, he-rauszufinden, wo sich Geschäfte machen lassen.
  Es wurde oft auch von profilierungsgeilen Leuten unterlaufen,
  denn die Verwundungen der antischwulen Diskriminierungen führen
  oftmals zu solchen Ver-haltensweisen. Eine Folge davon ist die
  erneute Trennung zwischen den Generationen in unserer Szene,
  von der politisch ausgerechnet die CDU profitiert, denn die jungen
  Leute in der Szene kennen ja die Kämpfe der älteren
  nicht und wollen zumeist auch nichts darüber wissen.
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  - 4. Menschlichen Bedürfnisse, die
  aus wirtschaftlichen Gründen nicht lösbar erscheinen
  sollen
 (...Bereiche, für die es keine Lösungen geben soll,
  weil man als Folge der Nichtlösung wirtschaftlich besser
  verdienen kann als wenn die lesbischen und schwulen Menschen
  eine Lösung hätten. Dann gibt es aber auch ...)
 Nach dem kapitalistischen Umsturz in Rumänien zeigte es
  sich, dass die Lage für schwule Männer nicht besonders
  verbessert war. Die ru-mänisch orthodoxe Kirche machte ihren
  Einfluss geltend und die Be-strafung gelebter männlicher
  Homosexualität wurde nicht abgeschafft. Verboten wurde zwar
  nicht mehr die Selbsterklärung, dass man homo-sexuell sei,
  aber jeglicher sexuelle homosexueller Kontakt.  Anderer-seits
  entstanden Telefonanbieter, ähnlich unserer 0190-Nummern,
  in denen auch homosexuelle Männer beworben wurden. Die perfekte
  Geschäftsidee, Sex verbieten und die kostenpflichtige Ersatzbefriedi-gung
  anbieten, denn es ist herausgekommen, dass die Kirche an den
  Schmuddel-Telefonen mitverdient.
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  - 2. In Erwägung, dass wir hungrig bleiben 
 wenn wir dulden, dass ihr uns bestehlt
 wollen wir mal feststell'n,
 dass nur Fensterscheiben
 uns vom Brote trennen, das uns fehlt.
- Aus "Resolution der Kommunarden" von B. Brecht
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  - Wenn man essen will/muss, benötigt man Geld, um sich
  die nötigen Lebensmittel zu kaufen. Wenn man Geld haben
  will, muss man eine Arbeit annehmen. In Wirklichkeit nimmt man
  nicht eine Arbeit an, sondern man wird Teil eines Abhängigkeitssystems
  in fremden Diensten. Man arbeitet nicht beiläufig, sondern
  man wird mit Haut und Haaren gefressen, und die Freizeit wird
  ebenfalls von der Arbeit beeinflusst. Es gibt auch andere, die
  deshalb Geld haben, weil Men-schen in Abhängigkeit zu ihnen
  arbeiten. Für uns ist es selbstver-ständlich, unser
  Geld durch Arbeit zu erwerben, wenn man uns nur lässt. Das
  lernen wir von klein auf und haben es verinnerlicht. 
 Bei anderen Völkern und zu anderen Zeiten war das wohl anders.
  Wer Hunger hatte fuhr mit seinem Auslegerboot auf die Lagune
  raus und holte sich was, oder er kletterte auf eine Palme. Oder
  man arbeitete nicht in fremden Diensten, die jemanden Gewinn
  bringen, sondern für sich selbst.
 Unter marktwirtschaftlichen Bedingungen soll uns Glauben gemacht
  werden, dass man alles für Geld bekommt und dass das, was
  es kostenlos gibt, nichts ist. Und damit der Rubel ständig
  und unermüdlich in die richtigen Taschen rollt, sollen wir
  auch ständig und unermüd-lich unzufrieden sein und
  daher immer mehr haben wollen.
 Wenn Du dich zu Hause einsam fühlst, niemanden zum Sprechen
  hast, auch niemanden, dem du dich anvertrauen kannst, musst Du
  zum Bei-spiel in die Disco gehen. Dort gibt es bei dem gleichen
  Rhythmus ei-nen scheinbaren Gleichklang der Bewegungen, einen
  Gleichklang an Glücksgefühlen durch den rauschartigen
  Zustand, in den Dich die spe-zielle Atmosphäre der Disco
  versetzt. Während der Zeit Deiner Anwe-senheit fühlst
  du dich aufgehoben, als Teil einer Szene, nicht isoliert usw.
  Und wenn Du dann wieder zu Hause alleine bist, fehlt dir das,
  du bist eben einsam. Also musst du immer wieder da hin.
 Fällt dir auf, dass du eigentlich gar keine guten Gespräche
  geführt hast, dass du dich noch immer niemanden anvertrauen
  kannst? Im Gegenteil: um die guten Gespräche führen
  zu können, müsstest Du aus der Disco raus, damit du
  ein Gegenüber überhaupt verstehen kannst. Aber während
  du rausgehst, schwindet auch das kollektive Disco-Gemeinsamkeitsgefühl.
  Und während du rausgehst, stellst du fest, dass die Person,
  mit der du rausgegangen bist, dir fremder und fremder ist, so
  dass ein Gesprächsversuch eher kümmerlich wird und
  sich die ersehnte Zufriedenheit mit diesem gutaussehenden und
  fremden Menschen nicht einstellt. Man kann sich ihm schon gar
  nicht anvertrauen.
 Wir lernen also: es kann dies nicht geben, was wir uns ersehnen,
  weil wir selbst dazu unfähig sind.
 Denn würden wir durchschauen, dass wir gerade durch diese
  Struktu-ren vom Erreichen unseres Zieles abgelenkt werden und
  dass wir unser Ziel durchaus erreichen könnten, freilich
  nicht auf diesem Weg und ohne dem Rauschzustand des Disco-Gemseinsamkeitsgefühles
  (das zu diesem Zweck auch nicht nötig wäre) würde
  wir ja auch nicht mehr so oft es geht in die Disco laufen und
  dort unser ganzes Geld ausgeben. Wir aber sollen glauben, dass
  wir das Gefühl der Erfüllung dort schon bekommen können,
  wenn wir es dort nur richtig anstellen, nämlich entsprechend
  modisch gekleidet sind, um von den richtigen Menschen für
  attraktiv gehalten zu werden, die richtige Frisur und Haarfärbung
  haben usw.
 Und die so witzigen und schlauen MeinungsführerInnen in
  der Disco reden auch verachtungsvoll über solche, die nicht
  ihren Erwartungen entsprechen, also nicht teuer gekleidet sind
  usw.
 Die Lösung wäre nun vielleicht, es in einer Kneipe
  zu versuchen, wo man mit den Tischnachbarn sprechen kann. Vielleicht
  klappt es da wirklich, dass man gute Gespräche führt,
  bei denen man sich kennen lernen kann.
 Doch die Tischanordnung kann verhindern, dass man von Tisch zu
  Tisch kommunizieren kann, und vielleicht sind die Leute dort
  derart drauf, dass man sich nicht so einfach zu jemanden setzen
  kann. Häufig sind die Leute heutzutage völlig ungeübt
  in der zwischenmenschlichen Kommunikation und tun so, als wäre
  hier die Disco. Niemand will dort mit denen reden, die man äußerlich
  für unerotisch und unattraktiv hält und wodurch das
  eigene Image leidet. Da kommt es nun auf den Wirt an, ob es ihm
  gelingt, in seinem Betrieb eine faire Gesprächskultur zu
  entwickeln, wo man sich also wohl fühlen kann.
 Nun werden uns in unseren Medien und eigentlich überall
  raffiniert die schönsten Frauen beziehungsweise Männer
  überall so vor die Nase gehängt, so dass jede Frau
  und jeder Mann unserer Szene die Sehnsucht hat, solch einen Menschen
  zu finden, während doch nur "solche" NachbarInnen
  in der Szene rumhängen, wie sie eben dort rumhängen,
  und die eben diesen Bildern nicht entsprechen.
 Und die attraktiven Menschen sind jung, schlank und modisch und
  benutzen Solarien, lassen keck den Baunabel sehen, verhalten
  sich bei ihren Bewegung, als seien sie gerade bei einem Geschlechtsakt,
  sie verhalten sich wie erotische Bomben beziehungsweise wie die
  Gummipuppen aus dem Pornoladen, wobei es um nichts als Fleischeslust
  geht. Aber sind sie dann auch menschlich erstrebenswert?
 Das Beurteilen der Menschen nach diesen äußerlichen
  Gesichtspunkten ist natürlich absolut abwegig, denn um zwischenmenschliche
  Zufriedenheit empfinden zu können, kommt es viel mehr darauf
  an, ob der potenzielle Partner, die potenzielle Partnerin solche
  zwischen-menschlichen Verhaltensweisen drauf hat, die wir als
  Balsam für unsere Seele benötigen, und letztlich auch
  solche sexuellen Praktiken liebt, die unsere sexuellen Träume
  erfüllen können.
 Unsere erotische Sehnsucht erfüllt sich nun gar nicht dadurch,
  dass wir beschließen, dieser Mensch da drüben ist
  der schönste und in den habe ich mich verliebt und den muss
  ich haben. Erstens ist er schon vergeben und nicht von der Meinung
  abzubringen, dass er seinen ge-genwärtigen Partner für
  besser hält. Und was macht man dann, wenn man schon wieder
  nicht fündig wird?
 Man kann sich Filme und Hefte kaufen, in denen bei etwas Phantasie
  ein Ähnlicher wie der, den wir gesehen haben, sich genau
  so verhält, wie wir es bräuchten. Und daher kommen
  wir nicht auf die Idee, mit dem anwesenden Nachbar mal zu kommunizieren,
  der schließlich überhaupt nicht infrage kommet, wegen
  seiner Frisur, seiner Mode, seines Musikgeschmacks, seines Alters
  ... Die ganze Szene ist voll von Menschen, die auf der Suche
  sind und die den Traummenschen hier nicht vorfinden.
 Manche schaffen es, tatsächlich, den Prinz ihrer Träume
  als menschli-che Verkörperung in der Realität zu erobern,
  wie es so schön heißt. Vielleicht ergänzen sich
  auch die sexuellen Wünsche. Und dann stel-len sie fest,
  mit dem könnte ich nicht über dieses klassische Musik-stück
  sprechen, nicht einmal annähernd über Kultur, weil
  er gar keine hat. Tja, nichts ist eben vollkommen.
 Einige versuchen es natürlich, ein kurze Zeit ihres Lebens
  so viel zu erleben, wie es ihnen möglich ist. Aber da sie
  dabei ganz bestimmten Leitbildern folgen, andere völlig
  ausschließen, müssen sie erleben, dass sie selbst
  kaum solchen Leitbildern entsprechen und die Chance, als solches
  angesehen zu werden, ständig kleiner wird. Es ist ja im
  Gegenteil so, dass die, die selber den Leitbildern nicht mal
  im ent-ferntesten entsprechen, am dogmatischsten nach der hundertprozen-tigsten
  Erfüllung ihres Leitbildes bei ihrer Partnersuche streben.
  Genauer betrachtet ist es gar nicht ihr Leitbild, nach dem sie
  streben, sondern eines, das uns in den Medien als Leitbild ununterbrochen
  vorgeführt wird. Und das bringt eben Gewinne in die Kasse
  und hilft in Wirklichkeit niemanden im zwischenmenschlichen Umgang
  miteinander.
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  - 5. Bedürfnisse, die befriedigt werden
  müssten, die aber nicht finanzierbar sind
 (...noch Bereiche, die alle benötigen würden, die
  aber deshalb marktwirtschaftlich nicht gelöst werden können,
  weil es für sie einfach keine lohnende (wirtschaftlich rentable)
  Finanzierung gibt.)
 Es wurden seit den späten 60er Jahren von engagierten Menschen
  Begegnungsstätten entwickelt, in denen es nicht nach kommerziellen
  Gesichtspunkten abgehen sollte. Kleine Gruppen trafen sich ja
  anfänglich in Wohnungen, was teilweise zu Schwierigkeiten
  mit Wohnungsnachbarn oder VermieterInnen führte, was aber
  eine vertraute Atmosphäre erzeugte, und diese Grüppchen
  waren sehr kreativ. Wer aber keinen Zugang nach solch eine Clique
  hatte, musste leider alleine bleiben.
 Später, als auch für unsere Infrastruktur öffentliche
  Mittel bereitstanden, entstanden Frauenzentren und Schwulenzentren,
  selten in Zu-sammenarbeit. Immerhin hat sich die Mainzer Schwulengruppe
  recht lange regelmäßig im Mainzer Frauenzentrum getroffen.
  Später dann in einem eigenen Zentrum. Hier kam es dann auf
  die Persönlichkeit der Anwesenden an, wie man miteinander
  umging und wie man seine ei-genen offenen und heimlichen Ziele
  in den Gruppenstrukturen unter-bringen konnte.
 Um heutzutage ein nichtkommerzielles Zentrum am Leben zu halten,
  benötigt man öffentliche Mittel. Diese öffentlichen
  Mittel werden nun zunehmend knapper und es ist nur noch eine
  Frage der Zeit, bis es sie gar nicht mehr gibt. Das Schließen
  solcher Zentren kann wirtschaftlich oder ideologisch begründet
  werden. Wird es ideologisch begründet, dann beginnt für
  uns wieder eine schwere Zeit.
 Der Erfolg solcher Zentren ist aber, wenn sie mal existieren,
  nicht ga-rantiert, denn es kommt darauf an, dass sie in der Szene
  auch ange-nommen werden. Anpassungen an die Szene bedeuten, der
  Szene ähnlich zu werden. Und große öffentliche
  Einrichtungen, wenn sie noch bestehen, werden dadurch ein derart
  Innenleben bekommen, dass auch hier nur noch die Regeln der kommerziellen
  Welt gelten. Unter solchen Bedingungen entstehen dann für
  marktwirtschaftlich orientie-ren Menschen bessere Wege, das Innenleben
  der Zentren zu beeinflussen als den sozial engagierten Menschen.
  Sagen wir, wie es ist: erfolg-reiche große öffentliche
  Strukturen laufen stehen immer in der Gefahr, zum Spielball von
  Korruption und privater Bereicherung zu werden. Dies trifft natürlich
  auch auf entsprechende Einrichtungen in unserer Szene zu.
 Werden heutzutage unsere Zentren nur dann angenommen, wenn hier
  ein kommerzielles Selbstverständnis vorherrscht oder auch
  dann, wenn eine gewisse Gegenkultur hier eine Chance hat? Es
  gibt eine ganze Reihe von Zentren, die nicht mit der Zeit gingen,
  die also nicht kommerziell wurden, die schlicht austrockneten.
  Und das kam so. Überall in der Szene wurde über sie
  gelästert. Die blödesten Zeitgenos-sen hetzten am lautesten,
  und dadurch kamen tatsächlich immer weni-ger Leute, man
  machte sie letztlich zu, weil sich für die Zahlmeister der
  Kommunen kein Sinn mehr erkennen ließ, sie am Leben zu
  lassen. Keiner kam mehr dort hin.
 Auch Gruppen, die sich in Wohnungen trafen, trockneten aus, beson-ders
  weil deren Initiatoren auch älter wurden und somit für
  junge nachwachsende Leute nicht attraktiv erschienen. Immer mal
  steigt je-mand aus. Wenn nachwachsende Junge nicht mehr kommen,
  ist die Gruppe letztlich zum Absterben verurteilt. Und wenn in
  der Gesellschaft die Generationsgrenzen immer höher werden,
  werden sie auch bei uns immer höher.
 Dadurch können die Nachwachsenden einer Bewegung auch nicht
  von den Erfahrungen der Älteren profitieren. Sie müssen
  dann, wie man so schön sagt, immer wieder das Rad neu erfinden.
  Wenn Subventionen in unsere Szene fortfallen, werden auch wissenschaftliche
  und kultu-relle Bereiche, die von ihnen leben und unsere Szene
  bereichern, weg-fallen. Es wird keine Beratungsstellen mehr geben
  können, keine Hilfseinrichtungen. Im Grunde sind es politische
  Entscheidungen, was subventioniert wird und was nicht.
 Weltweit werden die öffentlichen Bereiche privatisiert,
  wird die sogenannte Staatsquote gesenkt, bleibt nur noch übrig,
  was sich kommerziell betreiben lässt. Zum Beispiel rechnet
  sich das Altwerden per se nicht. Also muss man ein Geschäft
  daraus machen, dass die Alten nicht verhungern, wenn sie nicht
  mehr arbeiten. Die Rente wird also schrittweise kommerzialisiert.
  Auch eine Krankheit kann wirtschaftli-chen Ruin bedeuten. Also
  muss das Krankengeld über eine private Versicherung abgesichert
  werden. Das senkt den Unternehmern die Lohnkosten und ermöglicht
  noch manchen Versicherungsunterneh-mern, satte Gewinne einzustreichen.
 Da wir damit rechnen müssen, dass auch in unsrer Szene nur
  noch üb-rigbleiben wird, was sich selbst kommerziell trägt,
  und da wir wissen (siehe oben), dass dies nicht das ganze Leben
  ist, benötigen wir wie-der die kleinen Zellen der Gegenkultur,
  kleine Gruppen von Lesben und Schwulen, die sich in Wohnungen
  treffen und die in eigenen Reihen andere Formen des Umgangs miteinander
  pflegen, als es in der kommerziellen Szene üblich ist. Solche
  Inseln sind nicht stabil und ih-re TeilnehmerInnen haben das
  kommerzielle Denken ja in sich und werden ihre Erfolge gegen
  andere haben, indem sie die kommerzielle Welt dort vertreten.
  Aber es kann eine Ahnung von Anteilnahme und Mitmenschlichkeit
  entstehen.
 Damit wird das kommerzielle Zeitalter nicht beendet, wir benutzen
  nur die Lücken des menschlichen Daseins, die sich kommerziell
  nicht rechnen, zum eigenen Vorteil.
-  
  - Wann leben wir denn?
 Diese Frage, so unsinnig sie erscheinen mag, hat zwei Aspekte.
  Wir leben im Zeitalter der Marktwirtschaft und wir können
  an den Segnungen dieser Wirtschaft dann teilhaben, wenn wir uns
  dort erfolgreich verkaufen können. Dennoch sind die marktwirtschaftlichen
  Befriedigungen unserer Bedürfnisse (die aufgrund eines empfundenen
  Mangels in der Marktwirtschaft existieren) zumeist nur Ersatzbefriedigungen,
  die nicht wirklich sättigen, denn wir sollen ja immer weiter
  ackern und anderen Geld bringen.
 Also heißt der zweite Aspekt: wann beginnen wir denn nun
  eigentlich endlich einmal zufriedenstellend zu leben? Das kann
  man ganz klar beantworten: Wenn es uns nicht gelingt, zumindest
  teilweise aus diesen Zusammenhängen auszusteigen. Für
  manche von uns gibt es zeitweilig solche Möglichkeiten,
  indem wir uns und andere ein wenig vom karrierebezogenen Denken
  und von solchen Strukturen freimachen.  Für die meisten
  bedeutet das aber: nie!