Dieses Material ist von der ROSA LÜSTE zusammengetragen bzw. erarbeitet worden und ist für die Hand von GruppenteilnehmerInnen, die an der Beratungsarbeit teilnehmen wollen.
 
Das ROSA TELEFON in Wiesbaden
Das ROSA TELEFON in Wiesbaden gibt es seit 1978. Irgend jemand mußte seine Telefonnummer für Kontakte mit der ROSA LÜSTE zur Verfügung stellen. Dazu erklärten sich Joachim und Renate bereit. Sie mußten aber erleben, daß zu allen unmöglichen Zeiten und mit den unterschiedlichsten Anliegen angerufen wurde.

Renates und Joachims Wohnung war immer auch Treff von diversen Gruppen aus der Alternativszene und zunehmend aus der schwulen (schwullesbischen) Szene. In der jungen ROSA LÜSTE arbeiteten wir ein Konzept aus, wie am besten auf die unterschiedlichen Anrufe zu reagieren sei, und wir veröffentlichten diese festen Zeiten in den eigenen Medien (IHM-Info und später NUMMER) so wie in fremden Medien, die zur Alternativszene gehörten. Am Telefon saßen dann kontinuierlich Joachim, wenn es um Schwule ging, und Renate, wenn es um Lesben ging, sowie andere Gruppenmitglieder, die sich dazu berufen fühlten und die deshalb anwesend waren. Wir können mit Stolz berichten, daß wir das älteste noch existierende Beratungstelefon der Region unterhalten.

Natürlich wurden die beiden von anderen Gruppenmitgliedern unterstützt und oft entlastet. (Die Namen der früheren Mithelfer sagen Euch heute nichts, wohl aber die, die heute noch dabei sind). Das waren in den letzten Jahren besonders Thomas, seit er auch in der WG wohnt, in der sich der Gruppen-Zeitungsraum befindet, Gerdi, die Streetworkerin in der Aids-Hilfe ist, Christian, der vom AStA der FH-Wiesbaden zu uns kam und Alex, der auch die Kontakt-Telefonnummer des Lesben- und Schwulenreferates der FH Wiesbaden war. Zumeist aber wurde die Arbeit von Joachim, Renate und Thomas geleistet, was dazu führte, daß diese seit Jahren nahezu jeden Montag anwesend sein mußten und waren, andererseits aber auch eine große Professionalität in dieser Arbeit erwarben. Auch die wissenschftliche Ausbildung kam nicht zu kurz.
Joachim hatte in seinem Lehrerstudium über die Fachdidaktiken hinaus Seminare in Pädagogik, Politik, Psychologie und Soziologie belegt, und ließ sich in Soziologie in der 1. Staatsprüfung zum Thema "Soziologie der Vorurteile und Homosexualität" prüfen, seine wissenschaftliche Prüfungsarbeit ging über das Thema "Normen in der Geschlechtserziehung der DDR und in der Sexualkunde am Beispiel Hessen". Über die Fachbuchrezensionen für die LUST ist Joachim auch in Fragen heutiger Betrachtungsweisen vertraut, sowie neueren Untersuchungen.
Renate hat in ihrer Erzieherinnenausbildung wichtige Grundlagen erlernt und ihre Kenntnisse über Fernstudium im Bereich "Beratung" erweitert. Desweiteren hat sie über Buchrezensionen im Bereich der Fachbücher für lesbische Psychologie und Soziologie eine ständige Ergänzung ihres Wissens.
Thomas hat in seinem Fachhochschulstudium an psychologischen Seminaren teilgenommen. Desweiteren hat auch er über Buchrezensionen sein Wissen ständig erweitert. Darüber hinaus leben die drei zusammen und tauschen sich so ständig aus. Ganz besonders Vorteilhaft ist die Kombination mit Thomas auch deshalb, weil er immer ganz genau weiß, in welchem Ordner darüber Papiere existieren, und wo die gefragten Bücher in der Rosa-Lüste-Rezensionsbibliothek zu finden sind.

Unsere Essentials formulierten wir wie folgt:
"Zu den Essentials, den Grundlagen der lesbisch-schwulen Beratung gehört, daß der Berater keine Entscheidungen für die/den Ratsuchenden fällt, sondern mit ihm Möglichkeiten erörtert, denn der/die Berater(in) hat sich auf den Standpunkt des/der Ratsuchenden zu stellen, soweit dies möglich ist.
Der/die Ratgeber(in) soll häufiger Fragen stellen als Antworten geben, sofern es sich nicht um allgemeine Informationen handelt, denn nicht er/sie hätte ja auszubaden, was der/dir Ratsuchende dann für Folgen zu tragen hätte.
Der/die Ratgeber(in) muß dafür sorgen, daß er/sie nicht in eine Macht- und Entscheidungssituation gerät. Das setzt sehr viel Selbstdisziplin voraus.
Es ist nicht entscheidend, was der/die Ratgeber(in) hier noch alles sagen könnte, sondern was dem/der Ratsuchenden in der konkreten Fragestellung nützt.
Das persönliche Interesse für die Belange des/der Ratsuchenden (sich in seine/ihre Rolle versetzen können) erleichtert die Beratung, die kritische Distanz kann dazu führen, daß sich der/die Ratsuchende nicht genügend beraten fühlt.
Der/die Berater(in) soll nicht so tun, als sei sie/er furchtbar objektiv, und er/sie soll am Telefon zugeben, wenn sie/er überfragt ist, und den/die Ratsuchende(n) auf andere Beratungsangebote aufmerksam machen. Wir verstehen uns als ein Angebot unter vielen.
Zwischen den Ratsuchenden und den Ratgebern soll es keinen zwischenmenschlichen persönlichen Kontaktgeben, weil dies die gegenseitige anonyme Situation stören würde und zu Missverständnissen führen könnte.

Außer den von uns ausgearbeiteten Essentials der Beratung gab es laufend in der Gruppe Gespräche und Diskussionen über unser Verhalten in konkreten Fällen. In Rollenspielen übten wir uns darin, auf bestimmte Situationen reagieren zu können, die aber selten eintraten.
Wir erlebten in dieser Zeit z.B. telefonischen Morddrohungen von rechts und Anfeindungen aus der Schwulenszene, die uns wohl unterstellten, mit diesem Telefon bessere Kontaktmöglichkeiten zu haben als sie. Das ist zwar so unmittelbar gar nicht möglich, mittelbar haben wir aber wirklich bessere Kontaktmöglichkeiten, denn zu den Vorschlägen, die wir machten, gehörte natürlich auch, in die Gruppe zu kommen.
Und in einer (zumindest in unserer) Gruppe herrschte und herrscht ein offeneres Gesprächsklima, das bestimmte oberflächliche Subkultur-Gesetze unterläuft und es ermöglicht, daß man sich auch unter anderen Gesichtspunkten als denen des offenen Fleischmarktes als liebenswert empfindet. Das Zusammenarbeiten in einer Gruppe unterscheidet sich von der konkreten Beratungssituation am Telefon. Selbstverständlich haben sich in der Gruppe auch Paare zur Freundschaft, zu spontanen und experimentellen Sexerlebnissen gefunden, wogegen aus unserer Sicht nichts spricht.

Es scheint, daß die Arbeit in einer Gruppe für die, die das wollen natürlich, sicherlich auf längere Sicht eine bessere "Therapie" ist als anonyme Gespräche am Telefon. Bei der Arbeit an der Zeitung, dem Einüben von Theaterszenen, dem Vorbereiten von Veranstaltungen lernen sich die Teilnehmern mit ihren jeweiligen Verhalten besser kennen als in der Subkultur mit ihren unausgesprochenen Tabus und Gesetzen.

Als der damals von uns mitgegründete Bundesverband Homosexualität (BvH) eine bundesweite Telefonnummer eingerichtet hatte, beantragten wir die 19446 auch für Wiesbaden, die wir erhielten. Da die Beratung aus der Rosa-Lüste-WG heraus erfolgte, hätte der Antrag vom BvH abgelehnt werden können, was aber nicht der Fall war.
Das neue Telefon kostete zusätzlich Geld, schien uns aber die Möglichkeiten zu geben, das private Telefon der LUST-WG und Zeitschrift LUST vom Beratungsangebot zu trennen. Es zeigte sich aber, daß die meisten Leute weiterhin das Telefon der LUST-WG/LUST nutzten (vielleicht unterstellen sie einer Zeitungsredaktion mehr Kompetenz als einer Gruppe), so daß wir zu einer anderen Lösung kamen.
 
Da der BvH ohnehin in Auflösung war und nicht klar war, was mit dieser Telefonnummer noch alles werden konnte, weil uns vom BvH nahegelgt wurde, für die 19446 einen Gruppenraum zu suchen, was eine Trennung zu den LUST-Unterlagen bedeuten würde, meldeten wir diese Telefonnummer wieder ab. Wir verbanden die Telefonberatung und LUST- Redaktion unter der alten den LeserInnen bekannten Nummer und ließen uns ein neues privates Telefon legen.
Die Beratungstätigkeit am Telefon beeinflußte natürlich auch die Gruppenarbeit, denn die Einführung der ersten Selbsterfahrungsgruppe in der ROSA LÜSTE veränderte die Struktur erheblich, weil nicht jeder/jede auch daran teilnehmen wollte, andere nur zu diesem Zweck kamen, und so relativ getrennte Arbeitskreise entstanden.

Wir waren seit unsrer Gründung die einzige Gruppe in dieser Stadt. Dann war die Aids-Hilfe entstanden, teilweise in personeller Verzahnung mir uns, denn Gerdi, die Streetworkerin und tragende Kraft der Aids-Hilfe ist auch Gründungsmitglied der ROSA LÜSTE, hatte aber früher mehr Zeit als heute, an den Aktivitäten teilzunehmen. Nun entstand eine Gruppe an der Fachhochschule, auch in personeller Verzahnung mit uns und eine sogenannte schwule Jugendgruppe in selbst erklärter und teilweise recht boshaft ausgetragener Konkurrenz zu uns. Was wir möglicherweise nicht ausreichend berücksichtigt haben, ist, daß diese Gruppe dennoch erwartet, daß unsere Arbeit am Telefon sowie die Zeitschrift LUST besonders ihnen nutzen sollte.
Ziemlich bescheuert fanden wir, daß von dieser Gruppe überall verbreitet wurde, daß das LUST-Telefon als Sex-Anbahnungstelefon mißbraucht werde, es wurde sogar behauptet, besonders der Joachim würde besonders jugendliche Anrufer in eine Abhängigkeitssituation von sich bringen, um mit ihnen sexuell zu verkehren. Was daran wahr ist, ist der Umstand, daß auch Leute, die in die Gruppe ROSA LÜSTE kommen wollen, zuerst einmal hier anrufen und daß die Teilnehmer der Gruppe gelegentlich auch Sex miteinander haben, und der Joachim natürlich auch. Auch sein gegenwärtiger Lebenspartner Thomas (seit 1984) hat erst hier angerufen, um die Gruppe zu finden, ist dann in die Gruppe gekommen und nach einiger Zeit haben sich die beiden angefreundet.
 
1. Info-Arbeit
Wahrscheinlich durch die Zeitung NUMMER und die Zeitschrift LUST bedingt, waren die Anrufe an uns zu mindestens 95% reine Informationsanrufe. Die Anrufenden wollen die Lokale wissen, welche Gruppenangebote es gibt, ob es ein "House of Boys" gibt, dies zumeist auf englisch. (Denen war unsere Telefonnummer vom Spartakus bekannt.) Es wurde nach Ärzten und Anwälten gefragt. Dies bewirkte eine engere informative Zusammenarbeit zwischen uns und der Aidshilfe, nachdem sie gegründet war. Was den aktuellen Stand bezüglich Ärzteliste betrifft, geben wir unsere Informationen weiter und verweisen auf die Aidshilfe, die hier bessere Informationen hat.
Unsere langjährige Kontinuität und die Arbeit mit der LUST ermöglicht es uns auch, besser als den anderen Beratungsangeboten, die unterschiedlichsten regionalen, überregionalen und bundesweiten Stellen zu benennen und auf die entsprechende aufklärende Literatur zu verweisen, die wir vorher rezensiert haben. Desweiteren kennen wir uns auch mit aktuellen Veranstaltungen aus, soweit sie uns vorliegen.

1.1. Lokale
Wo kann man Leute kennenlernen? Wo finde ich Freunde? Gruppen Lokale, Saunen, Outside Cruising, Klappen usw. Zuerst herauszufinden versuchen, was der Ratsuchende wirklich sucht. Helfen kann die LUST und Frankfurt von hinten

1.2. Gruppen
Herausfinden, welche Sorte Gruppe die/der GesprächspartnerIn sucht, zu welchem Zweck: Selbsterfahrung, Gesprächskreis, Stammtisch usw. Altersausgrenzende Gruppe zwischen unter-26-Jährigen, dann die in der Stadt, möglicherweise in den Nachbarstädten vorhandene Angebote vortragen bzw. zu uns einladen.

1.3. House of Boys
Der Prostitutionsmarkt in Wiesbaden oder den Nachbarstädten.

1.4. Cruising
Parks, Autobahnraststätten, Klappen in Wiesbaden und Umgebung

1.5. Anwälte
Kommt auf Fragestellung an: Konflikt mit Sexualstrafrecht, Familienrecht ect.

1.6. Polizei
Bei Überfällen usw. z.B. durch Stricher, Kontakt mit Frankfurter Polizei, in bestimmen Fällen auch in Wiesbaden, doch ist der Kontakt hier nicht immer unproblematisch.

1.7. Transsexualität
Telefonnummer in Offenbach, entsprechende Literatur angeben

1.8. Veranstaltungen
LUST-Veranstaltungskalender und Infos im LUST-Fax-Korb

1.9. Sachfragen, Informationen
Konkrete Fragen nach juristischen, medizinischen sexuellen Informationen. Fragen entweder einigermaßen beantworten, an andere Stellen verwiesen oder die entsprechende Literatur angeben (Joachim fragen, falls er da ist. Auf jeden Fall Allgemeinplätze und Stammtisch-Meinungen vermeiden)
 
2. Psychosoziale Beratung
Ungefähr 5% der Anrufe machen eine sogenannte psychosoziale Beratung nötig. Menschen in einer momentanen Krisensituation, einer persönlichen Konfliktlage. Zum Beispiel:

2.1. Freund verloren
Besonders Menschen in jahrelangen Freundschaften hängen sehr oft durch, wenn die Beziehung nicht mehr existiert oder ein Partner sogar verstorben ist. Verständnisvolle Gespräche, oft wollen sie sich nur mal aussprechen, vielleicht die Selbsterfahrungsgruppe. der ROSA LÜSTE

2.2. Beziehung in der Krise
Dem anderen mal gründlich Bescheid sagen, das können wir nicht. Nur wenn der andere mit uns reden will, können wir mit beiden reden. Aber in Beziehungsfragen sind beide und die Berater subjektiv. Vielleicht auch hier beide in die Selbsterfahrungsgruppe einladen, vielleicht Klärungshelfer-Modell von Schulz von Thun anwenden.

2.3. Merkt nach Jahren Heteroleben, dass sie lesbisch, er schwul ist
Er ist zumeist an schnellen Kontakten neben der Ehe interessiert und will wissen, wo die nettesten Jungs auf ihn warten. Will/kann aber keine Beziehung eingehen, hat Angst von Frau oder anderen erkannt zu werden. Treffpunkte, Lokale, Saunen, vielleicht auch Stricherplätze, Parks usw. in unterschiedlichen Städten vorschlagen. Dies ist eine undankbare Arbeit. Es ist immer falsch, was man macht. Will am liebsten gleich mit dem Telefonberater oder will Adressen.
Sie sucht Lesbentreffpunkte oder gleich abrufbare Lesbven, will schnelle feste Bindung usw. Es ist hier shcwierig, mit den angeblichen Selbstverständlichkeiten von Beziehungen aus den Hetenmedien ringen zu müssen.

2.4. Weiß es seit Jahren, will es nun wissen.
Ähnlich wie 2.3. Auch Selbsterfahrungsgruppe ist nicht gut, weil sie meistens eigentlich diese nicht wollen, sondern nur den schnellen Kontakt.

2.5. Sucht erste Kontakte,
will wissen was wo wie abgeht. Recht selten sind die Coming-Out-Anliegen von Klienten unterschiedlichen Alters. Sehr Junge von Ihnen sind es, die die größten Illusionen haben, zum Beispiel, daß alles für sie gelöst sei, wenn sie nur den ersten Freund finden.
Zu ihren Coming-out-Problemen kommen noch die Probleme hinzu, die alle Jugendlichen beim Eintritt in das Beziehungs- und sexuelle Leben haben. Die absolut seltenen Anfragen dieser Art von Jugendlichen sind der Grund für Neid- und Haßkampagnen von außen. Bei älteren Coming-outlern kommen zum Problem des Coming-outs noch die Problemen der Ignoranz und Altersfeindlichkeit der Szene hinzu.
Viele Coming-outler haben die antischwule oder antisexuelle Auffassung noch verinnerlicht und schlagen oft mit Tuntenhaß, gegenseitiges Moralisieren und mit Doppelmoral um sich. Gerne möchten sie deshalb andere, jüngere anleiten. Im Grunde wäre es gut, wenn die Betreffenden in die Selbsterfahrungsgruppe kommen könnten und auch an anderen Projekten teilnehmen würden, weil sie damit vielleicht auch ein etwas realistischeres Bild von den Dingen mitlernen könnten. Hat den Nachteil, daß sie oft Vieles nicht wissen und manchmal auch absurde Vorschläge machen, deren Zurückweisung sie als eigene Zurückweisung empfinden.
Wenn jemand einen Sexkontakt sucht, und man ihn im Grunde erwidern möchte, sollte man bedenken, daß dies von außen als Ausnutzen einer Funktion gewertet werden kann, und daß der Sex-Suchende dies möglicherweise so sehen will, wenn der (falls stattgefundenen) Sexkontakt mißlingt oder nicht den Erfüllungserwartungen entsprach.

Auch hier beim Coming-out, wie überhaupt bei den meisten Problemen dieser Art, ist eine Gruppe immer besser als ein Dialog am Telefon, weil mehr Menschen zusammen einfach mehr konstruktive Ideen und Verhaltensweisen entwickeln. Und damit solche Gespräche gut laufen können, ist eine Selbsterfahrungsgruppe die beste Lösung, die die Aufgabe hat, Gesprächsabläufe zu hinterfragen.
Bei all den konkreten Anliegen an MitarbeiterInnen am Beratungstelefon sind noch die Leute zu bedenken, die ein solches Telefon mit etwas anderem verwechseln oder sich auf andere Weise merkwürdig verhalten. Dabei gilt allerdings zu bedenken, daß Vieles, was uns unverständlich erscheint, oft auch aus einer Hilflosigkeit des Betreffenden resultiert.
 
3. Telefonmißbraucher
Hier fasse ich auch junge SchwulenhasserInnen und die Nazis, die uns den Arsch aufreißen wollen, mit anderen zusammen, was sicher ungerecht ist.

3.1. Telefonwichser
Manchmal ist der Vorgang offensichtlich. Manchmal merkt man es gar nicht, wenn jemand ein Gespräch anbändelt, dann mitten drin abbricht, weil er unterdessen zur Sache gekommen ist. Manchmal merkt man es am Stöhnen, manchmal fragen sie zurück, ob man jetzt auch geil sei.
Ein solches Gespräch über Sex scheint mir nicht schädlich zu sein, wenn man das in dieser Lage kann, es handelt sich ja auch in gewisser Weise um eine erotische Einladung. Ich meine, hier kommt es auf die Laune des Beraters an. Wir haben auf jeden Fall nicht die Aufgabe, zu Moralisieren. Ich halte es auch nicht für sinnvoll, den Anrufer mit moralischen Allgemeinplätzen zu disziplinieren.
Andererseits kann und will man nicht immer auf solche verbalen Anliegen einsteigen. Oft ist dies auch sehr ärgerlich, wenn sich der Anrufer besonders unangenehm verhält, denn dies ist ja der Mißbrauch eines Beratungsangebotes. Hier ist eine subjektive Reaktion egal in welche Richtung, sicher angemessen, denn dem Anrufer geht es um die subjektive Reaktion des Menschen am Telefon und nicht um einen Berater.

3.2. Schweiger
Hallo? Ist da überhaupt jemand? Traust Du Dich nicht, zu sprechen? Wenn Du nichts sagst, kann ich Dir natürlich auch nicht antworten. Hallo? Ich lege jetzt auf, Du kannst ja ein anders mal mit uns sprechen!

3.3. Zotenflüsterer(innen)
Vielleicht sagen, daß sie oder er das falsche Telefon erwisch hat. (Ist in all den Jahren bei uns erst 2 X passiert)

3.4. Beschimpfer, Bedroher
ist uns früher öfter passiert, in letzter Zeit nicht mehr aus der Szene heterosexueller Nazis, eher aus der machtgeilen rechten Schwulenszene. Man ist natürlich erst mal erschrocken. Es könnte ja auch sein, daß diese Morddrohungen oder ähnliches ernst zu nehmen sind.
Wir versuchen es, uns dadurch zu schützen, daß wir unsere Adresse nicht allzu öffentlich weitergeben. Aber dies ist kein besonders sicherer Schutz. Viele Lesben und Schwule, die uns nicht allzu wohl gesonnen sind, kennen unsere Adresse. Auch gibt es gerade unter ihnen zunehmend rechtsradikale und psychisch problematische Leute.
 
4. Sonstige Infos
Bei den Gesprächen geht es, obwohl wir nicht ideologisieren, natürlich schon auch um gewisse "Werte". Es gibt natürlich kein wertefreies Sprechen. Ich versuche hier, Erkenntnisse der Sexualwissenschaft, der Soziologie und der Psychologie, mit unseren Erfahrungen verknüpft, als Orientierungshilfe für BeraterInnen aufzuarbeiten.
Wir würden gegen unsere Aufgabe prinzipiell verstoßen, wenn wir z.B. Vorurteile bestätigen, wenn wir uns ihnen gegenüber in eine Macht- und Entscheidungssituation bringen würden. Wir dürfen das Vermeiden der individuellen und gesellschaftlichen Emanzipation nicht noch verstärken.
Es ist die Angst vor dem Coming-out oder der (Homo-)Sexualtäten, das so viel Leid erzeugt. Es ist die eigene Einsamkeit oder das Gefühl, den/die Richtige(n) nicht abzukriegen, was zur sexuellen Mißgunst führt, anstatt daß man sich gegenseitige sexuelle Erfüllung gönnte und jedem seinen Spaß. Und das bedeutet schon, daß wir z.B. mehr Verständnis für ein Verhalten aufbringen, das auf Entfaltung und Erprobung der Sexualität ausgerichtet ist, als ein Verhalten, das auf gegenseitige Bevormundung, Moralisieren usw. ausgerichtet ist.
Andererseits sind Moralitäten der daran leidenden oft deren Krücke, sich abzustützen. Deshalb ist hier Toleranz statt des fanatischen Eiferns angebracht. Solche Krücken sind jedoch oft die Barrieren vor dem nächsten emanzipatorischen Schritt, und das ist bei unseren Vorschlägen zu beachten.

4.1. Sexualität
"10 Goldene Regeln" aus einem schwedischen Pornoheft, 1978
1. Sei lieber positiv als negativ. Zeige, daß du sehr daran interessiert bist, etwas Neues zu finden und dich nicht damit begnügst, nichts zu tun. Erzähl deinem Partner, was du magst und nicht, was du nichts magst. So kannst du neue Seiten an dir entdecken.
2. Sei dir und deinem Partner gegenüber ehrlich, laß dir keine Möglichkeit entgehen, dich zu freuen, bloß weil du dich genierst, darüber zu reden.
3. Sei lieber spontan und natürlich als höflich. Das Schlafzimmer ist nicht der Ort für Höflichkeiten.
4. Bemühe dich nicht um ein würdiges Auftreten. Sei albern, verspielt, wage es, lächerlich zu wirken. Würde führt nur zur Unbeholfenheit.
5. Experimentiere! Spiele ohne Regeln. Brich willentlich die Konventionen.
6. Genieße den Augenblick. Es ist gut, "eine Beziehung aufzubauen" im täglichen Zusammensein, aber plane nicht die Zukunft, während du liebst. Betrachte den erotischen Akt als ein in sich geschlossenes Ganzes und weniger als eine Kette aus Gliedern von Vorspiel zum Orgasmus. Sei jeden Augenblick hellwach. Impulse vergehen, wenn man zu lange wartet.
7. Sei großzügig, sowohl beim Geben wie beim Nehmen. Die erotische Energie hat die phantastische Eigenschaft sich zu erneuern. Begriffe wie "Zügellosigkeit" sind puritanische Mythen.
8. Sei selbstsüchtig. Nimm, was Du willst, und erwarte dies auch von Deinem Partner. Allzuviel "Rücksicht auf den Partner" führt dazu, daß mehr erwartet als gehandelt wird.
9. Genieße den ganzen Körper. Kein Körperteil ist "feiner" als ein anderes.
10. Sei frech! Sei so unanständig, so zotig, so wollüstig, daß dich die Gesetze der Natur nie wieder in Verlegenheit bringen können.
(Quelle: Rosa Hilfe Limburg-Weilburg)

4.2. Sexueller Mißbrauch
Unter diesem Begriff werden reale üble Übergriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung benannt, aber auch "Übergriffe" gegen moralische Standarts oder Strafgesetze und anderes mehr.

4.2.1. Diese Begriff benennt zum Beispiel erzwungene oder ernötigte Sexkontakte, was im wesentlichen in einer Situation der Abhängigkeit geschieht. Das Ausnutzen einer Macht- und Entscheidungssituation ist absolut zu verurteilen, denn es richtet sich eindeutig gegen unsere Zielsetzung, die Selbstbestimmung in sexuellen Fragen zu erreichen. Dies ist z.B. nach niederländischem Recht mit allergrößter Wahrscheinlichkeit dann anzunehmen, wenn der jüngere Partner unter 12 Jahre alt ist. Ich stimme hier unbedingt zu.

Nach deutschem Recht ist Mißbrauch bei unter-14-Jährigen anzunehmen (§ 176 StGB) auch hier könnte ich noch zustimmen, und in den meisten Fällen bei Unter-16-Jährigen, wenn der ältere Partner über 21 ist (§ 182 StGB). Hier, meine ich, müßte in so manchem Fall doch etwas genauer hingesehen werden.
Da stimme ich den Argumenten der BvH zu, der hier Bedenken angemeldet hatte. In unserer Beratungszeit hat nur ein einziges Mal ein Mann aufgrund erlittenen sexuellen Mißbrauchs in der Kinderzeit angerufen. Es könnte sich hier auch um einen fingierten Anruf gehandelt haben, wofür schon einiges spricht, aber es ist töricht anzunehmen, daß sich Schwule anders verhalten würden als andere. Wenn es sich um Mißbauch in diesem Sinne handelt, kann ich kein Mitgefühl mit dem Täter empfinden.

4.2.2. Es kann auch einen Konflikt zwischen Selbstbestimmung und Strafgesetz oder Moral geben. In seiner Untersuchung "Straftaten ohne Opfer" untersucht Michael Baurmann, Psychologe beim Bundeskriminalamt, ob und welche Schäden bei Jugendlichen entstanden sind, deren Sexpartner verhaftet wurden, weil diese gegen den § 175 StGB (Betrafung damals wegen Sex mit der Altersgruppe zwischen 14 und 18) verstoßen haben. Diese Fälle finden zumeist (im Gegensatz zu heterosexuellen Vergehen) außerhalb von Abhängigkeitsverhältnissen (z.B. Eltern) statt und werden gerade von den Eltern oder der Familie am häufigsten entdeckt, denn intimer Kontakt mit älteren Gleichgeschlechtlichen ist aus gesellschaftlichen Gründen deutlicher auffällig, führt auch bei verschiedenen Schwulen zu ablehnenden Reaktionen, hinter denen allerdings oft auch Neiderverhalten steht.
In den von Baurmann untersuchten Fällen lassen sich keine Schäden durch den erfolgten Sexkontakt feststellen. Schäden würden aber entstehen, wenn eine Befragung des Jugendlichen erfolge, denn dadurch würde das Verwerfliche der anfänglich als angenehm empfundenen Handlungen für selbstverständlich gehalten. (Dieser Passus ist deshalb teilweise überholt, weil sich die Strafgesetze geändert bzw. verbessert haben).
Es ist nun nicht so, daß die Opfer der Befragung immer zu ihrer damaligen Lust stehen. Es kommt, so habe ich selbst schon beobachten können, in diesem Zuammenhang auch vor, daß die damals als angenehm empfundene Erlebnisse nachträglich im Zusammenhang einer moralischen Interpretation oder Grundhaltung nun ideologisch negativ gewertet werden. Das kommt besonders bei einem nicht vollständig geglückten Coming-out vor, bei dem homosexuelle Handlungen noch als "im Grunde verwerflich" empfunden werden. Dann gilt der erste Partner als der Verführer. Es kommt auch vor, daß nachträglich die damalige Handlung als unangenehm angesehen wird, wenn sexuelle Hierarchiedenken den damaligen Partner nun als unwürdig ansehen läßt, beispielsweise, weil er älter war und man nun in der Szene erfahren hat, daß Sex mit Älteren unter Niveau sei. Nachträglich macht man nun dem älteren Partner Vorwürfe, die "Naivität" in diese Frage ausgenutzt zu haben. Vor solchen Interpretationen kann sich im Grunde niemand schützen. Hier wäre es unsere Aufgabe, dem jüngeren Partner zu signalisieren, daß es um seine nachträgliche Wertung geht und nicht um die Schuld des Älteren. Einem eventuellen älteren Anrufenden muß dies sicher in gleicher Weise erklärt werden. Es kann auch vorkommen, daß eine Gelegenheitsbegegnung, die beide Partner genossen haben, dann nachträglich negativ bewertet wird, wenn der Betreffende sein körperliches Handeln und Verlangen mit seinem moralischen Empfinden nicht in Übereinstimmung bringen kann. Er hält z. B. nur Sex in einer festen Beziehung für legitim. Dann hat der andere angeblich die Geilheit ausgenutzt bzw. mißbraucht.
Die hier beschriebenen Phänomene sind nicht zu Unterschätzen. So läßt sich ein Teil der Mordfälle an Huren durch deren Freier, die sich als treue Ehemänner sehen, erklären, und die Ermordung von schwulen Freiern durch jugendliche Stricher, bei denen sich Schwulenhaß und Altersfeindlichkeit kombinieren, und die auf diese Weise empfundene Lustgefühle, die sie als Demütigung werten, bekämpfen.

4.2.3. In manchen Fällen wird der Begriff unabhängig vom Wollen der Beteiligten dann verwendet, wenn der Altersunterschied zwischen ihnen besonders groß ist, beispielsweise zwischen einem 20-Jährigen und einem 50-Jähren. Hier handelt es sich um eine ganze Reihe von Vorurteilen. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, Vorurteile zu bestätigen.
Was also alles als Mißbrauch definiert wird, ist oft auch eine politische oder moralische Frage oder eine Frage der eigenen persönlichen Emanzipation. Der reale sexuelle Mißbrauch, das Alter der Opfer ist egal, besonders aber von Kindern, ist aber auf keinen Fall zu rechtfertigen.

4.3. Beziehungsfragen
Viele halten die in der Hetero-Gesellschaft üblichen Beziehungsformen für selbstverständlich. Man sollte aber nicht außer acht lassen, daß ihr Ursprung in der Unterdrückung der Frau durch den Mann beruht. Damit der Mann seinen Besitz an seinen ältesten Sohn vererben konnte, war für ihn notwendig, daß dies auch sein Sohn ist. Deshalb durfte seine Frau keinen Sex mit einem anderen Mann haben. Jeder, der in einer Beziehung lebt, weiß, daß das sexuelle Begehren gegenüber anderen, wenn die erste Verliebtheit vorbei ist, wieder deutlicher in den Vordergrund rückt. Um die Ehe dann weiter aufrecht erhalten zu können, ist für Männer ein Prostitutionsmarkt entstanden, währen den Frauen beigebracht wurde, höchstens unter Schuldgefühlen in Gedanken fremdzugehen, während ihr Mann sie besteigt. Da bei uns keine Kinder entstehen, fällt dieser Grund weg.
In einer im rosa Winkel Verlag erschienen Untersuchung kam zutage, daß in nahezu allen schwulen Beziehungen, die mehr als drei Jahre überdauert haben, die Neigung nicht vorhanden ist, sich gegenseitig die Seitensprünge zu mißgönnen. Eher besteht die Neigung, zusammen auf Jagd zu gehen oder jemanden für einen Dreier anzuwerben. Während Lesben in Sexumfragen, wie es auch von der Ehefrau erwartet wird, absolute Treue angeben, stellen neuere Untersuchungen auch hier eine größere sexuelle Souveränität fest. Bei Beratungen ist mit Verständnis auf diesen Zusammenhang zu reagieren und nicht mit Moraldruck und Vorwürfen. Letztlich ist jeder Mensch an jedem Punkt seines Lebens in seinen eigenen Entscheidungen souverän. Was ein Partner nicht mit seinen Partner ausleben will oder kann, geht diesen nichts an. Eine Beziehung wird durch andere Sexkontakte nur dann gefährdet, wenn eine gewisse Verlogenheit die Grundlage dieser Beziehung ist.
Kein Mensch ist Eigentum eines anderen. Eine Beziehung wird aber durch eine konkurrierende zweite Beziehung gefährdet. Jeder, der einen Seitensprung unternimmt, hat natürlich die Verantwortung für das Wohlbefinden seines Partners, für den Bestand der Beziehung also. Eine zu intensive Nebenbeziehung kann beim Partner das Gefühl verursachen, daß für ihn hier kein Platzt mehr bleibt.

4.4. Fragen zur Eifersucht
Es sind eine ganze Palette von Gefühlen unter diesem Begriff zusammengefaßt. Die übliche Form ist der Eigentumsanspruch über den Partner in mehr Lebensbereichen, als es der Partner zulassen kann oder möchte. Hier geht es um die Autonomie der Menschen. Verständlich sind natürlich Verlustängste. Es kann sich um den Verlust an Gemeinsamkeit handeln, um den Verlust der Beziehung, den Verlust des Harmoniegefühls. Harmonie entsteht dadurch, daß die Rolle, die der Partner mir gewährt, von mir als angenehm empfunden wird. Ändert er diese, dann ist das Gefühl der Harmonie in Frage gestellt. Diesen Umstand kennen wir aus heterosexuellen Ehen, wenn die Frau ihn aus Liebe von allen Seiten bedient und sich nun einen kleinen Schritt emanzipiert. Die von ihm empfundene Harmonie war für sie nur Unterordnung und ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr zu ertragen. Es gibt auch noch die Eifersucht auf die vermeintlichen besseren Möglichkeiten, eine führende Stellung oder ähnliches. Sie wird dann empfunden, wenn man selbst das anstrebt, was man dem anderen unterstellt, etwa nach dem Motto: Die Schweine, die denken alle an sich, ich bin der einzige, der an mich denkt.

4.5. Fragen zur Prostitution
Hierbei handelt es sich um einen Dienstleistungsberuf, der meistens unter unwürdigen Bedingungen ausgeübt wird. Lese dazu den Text im NUMMER-Magazin.

4.6. Moralfragen
Als Moral wird die anerkannte Sitte angesehen, die nicht nur durch Strafgesetze, sondern durch ungeschriebenen Gesetze abgesichert wird. Jemand, der den Moralkodex verletzt, wird durch Schneiden oder Schlimmeres bestraft. Homosexualität wurde und wird immer noch als unmoralisch angesehen, auch wenn viele Schwule sich so verhalten, daß man ihnen keinen Analverkehr zutraut. Das hat aber in Wirklichkeit gar nichts mit Homosexualität zu tun, sondern mit der Männerrolle, die damit definiert ist, nicht weiblich oder feminin zu sein. Die nichtschwule Demonstration ist da als Stärkebeweis wichtig.
 
Heteros finden Lesben insofern für unangenehm, weil ihnen die potentielle Verfügbarkeit über sie entzogen wird, es sei denn, sie können sich vorstellen, der Dritte im Bunde zu sein. Hinter moralischen Vorbehalten stehen immer eigene Unzulänglichkeiten und deshalb Verletzlichkeiten, die mit Verurteilungen und Ansprüchen gepanzert werden. Sehr unangenehm und bezeichnend ist, daß die, die von moralischen Ansprüchen am meisten gequält werden, sich ihnen gegenüber beweisen wollen, anstatt sie als Repression zu begreifen und einfach abzulehnen. Und noch schlimmer ist, daß solche, die Moralansprüche ablehnen, nur als zusätzlicher Anspruch empfunden werden, gegen die sich dann der Zorn richtet.

Schwule Moralisten sind besonders unangenehm und perfide. Sie heimsen sich heterosexuellen Beifall ein und sind eine Bedrohung für schule Moralbrecher.

4.7. Fragen zu Aids
Diese Krankheit ist nicht nur eine Krankheit, sondern auch ein Faktor des Umgangs zwischen den Menschen mit wirtschaftlichen, sozialen, moralischen, Dimensionen; mit Dimensionen im Bereich der Sexualität bzw. sexuellen Erfüllung, Beziehungsstrukturen usw. aber auch des Bildungsstandes, der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ebenso wie der psychischen Stärke des Individuums und der psychosozialen Betreuung. Näheres darüber im Infoblatt über Aids und den immer zu aktualisierenden Infos der Aids-Hilfe.

4.8. Gewalt und Diskriminierung
Bei Umfragen kam zutage, daß doch sehr viele schwule Männer antischwule Gewalt erleben mußten. Noch mehr Lesben und Schwule sind Opfer von Diskriminierungen geworden. Es mehren sich auch die Hinweise von Lesben und Schwulen, die sich unterdessen trotz hämischer Reaktionen aus heterosexueller Richtung trauen, von Gay-Mobbing berichten. Unsere Szene ist eigentlich nicht sehr solidarisch und emanzipatorisch, sie wird "normal".
Leider sind tatsächlich Mobbing (und auch Gay-Mobbing in unserer Szene) in der Gesellschaft aus unterschiedlichen Gründen in dieser Gesellschaft im Kampf um Arbeitsplätze und um bessere Ausgangssituationen in allen möglichen Lebensbereichen immer häufiger. Und so kann die Homosexualität zum Thema gemacht werden. Es geht aber nicht um Homosexualität alleine, sondern es wird mit lesbischen oder schwulen "Verfehlungen" argumentiert. Über den Bereich der Gewalt gibt es unterdessen etwas Literatur, im Bereich der Diskriminierungen und des Mobbings sind Untersuchungen noch nahezu nicht vorhanden. Es gibt auch nur in Einzelfällen für Gruppen die Möglichkeit, direkt helfend einzugreifen. In der Gruppe und in Partnerschaften erlebte Solidarität und Anteilnahme ist oft das einzige, was hier angeboten wird. (Siehe für den Zusammenhang von Mobbing, Diskriminierung und antischwule und antilesbische Gewalt durch Heteros, Lesben und Schwule auch den Bereich 4.2.)

4.9. Psychische Erkrankungen und Geisteskrankheiten
Wir müssen zuerst einmal zwischen Erkrankungen unterscheiden, die etwas mit schlecht verarbeiteten Erlebnissen zu tun haben und Krankheiten, die in den Bereich der Medizin gehören. Zur ersten Gruppe gehören neurotische Störungen bis zu den ausgewachsenen Neurosen, zur zweiten Gruppe die endogenen (von innen entstandenen) und exogenen (durch äußere Einflüsse verursachten) Psychosen. Was gesellschaftlich für geistig normal gehalten wird, entspricht den gesellschaftspolitischen Normen und nicht der inneren Ausgeglichenheit sowie der Lebenslust und -qualität des Individuums. So wurde Homosexualität bis vor einigen Jahren als eine Krankheit angesehen.
 
Aber der Umgang der Gesellschaft mit der sexuellen Identität, mit Normen und Zwängen im Bereich von Beziehung und anderen gesellschaftlichen Strukturen führt dazu, daß in unserer Szene eine ganze Reihe psychischer Störungen zu beobachten sind. Tilman Moser meint, schwule Männer hätten etwas zu erleiden (ich glaube, dies ist auch begrenzt bei Lesben richtig), das er eine "narzistische Kränkung" nennt, also eine gesellschaftlich verursachte Störung der Selbstakzeptanz oder Selbstliebe. Die Folge kann ein besonders starkes Bestreben sein, das eigene Profil besonders stark zur Geltung zu bringen. Dies wäre eine profil-neurotische Störung. Solche Störungen seien also bei Schwulen häufiger als bei anderen Menschen anzutreffen. Unabhängig davon können Schwule und Lesben natürlich noch an allen psychischen und Geistes-Krankheiten erkranken wie alle anderen Menschen auch. Und da ist es gut, daß die Homosexualität an sich nicht mehr als Krankheit angesehen wird. Bei der Telefonberatung hat man es öfter als im täglichen Leben mit Erkrankungen dieser Art zu tun, egal für welche Zielgruppe man diesen Dienst anbietet. Zahlenmäßig ungfähr drei- bis viermal jährlich läßt sich das Verhalten am Telefon nicht anders erklären. Durch bestimmte Ereignisse gezwungen, waren wir genötigt, uns etwas tiefer in die Problematik einzuarbeiten.

4.9.1. Neurotische Störungen und Neurosen sind selten einfach von BeraterInnen zu diagnostizieren. Dies hat Vor- und Nachteile. Zu den Nachteilen gehört, daß wir die Angaben der AnruferInnen nicht immer für bare Münze ansehen können. Zu den Vorteilen gehört, daß man dies ohnehin nicht kann. Wir sollten auf jeden Fall so vorgehen, daß wir die Angaben der AnruferInnen nicht ausdrücklich inhaltlich bestätigen. Alle Eindrücke, die ein Mensch zum Beispiel in Beziehungsfragen hat, sind selbstverständlich sehr subjektiv. Das hat nichts mit einer psychischen Erkrankung zu tun, sondern mit der Identität eines Menschen. Aber auch bei offenkundigen seltsam einseitigen Interpretationen und deutlich begrenzten Wahrnehmungen der Vorgänge dürfen wir die Schilderungen nicht deutlich anzweifeln, denn er/sie glaubt ja selbst (zumeist) dran.

4.9.2. Psychotische Störungen und Psychosen gehören in den Bereich der Medizin, denn sie sind organische Krankheiten. Man unterscheidet in "endogene Psychosen", also von innen kommende, und "exogene Psychosen", also von außen durch Unfälle oder Drogengebrauch verursachte Kranheitsbilder. Da es sich um eine Störung des Hirnstoffwechsels handelt, wird diese Krankheit medikamentös behandelt. Für diese Kranheit kann niemand etwas, sie überfällt die Menschen wie eine Blinddarmentzündung, nur hat sie ein schlechteres Image. Sie verändert auch das Leben auf entscheidende Weise. Durchschnittlich jeder hundertste Mensch leidet an dieser Krankheit. Wenn der/die Erkrankte von Stimmen berichtet, die nur er/sie hören kann, wenn er/sie mit Menschen kommuniziert, die außer ihm/ihr niemand sieht, wenn er/sie sich durch andere überwacht, belauscht, mit Morddrohungen verfolgt sieht, dann ist das alles für ihn/sie auch tatsächlich so erlebt und deshalb wahr und kann nicht durch Argumentation weggeredet werden. Aus Angst können die Kranken auch agressiv oder selbstzerstörerisch werden. Nur die Krankheitseinsicht könnte zur freiwilligen Behandlung führen. Dies aber können wir am Beratungstelefon in der Regel nicht schaffen, auch wenn es uns in einem Fall gelungen ist.
 
5. Weitere Fragestellungen
Bisher sind noch keine weiteren Fragestellungen aufgetaucht. Aber es ist möglich, daß gefragt werden muß, ob Beratungstelefone überhaupt noch unterhalten werden müssen. Überall gibt es schriftliche und mündliche Beratungsangebote, so daß die Beratungstelefone kaum noch frequentiert werden. Von Mainz und Saarbrücken wissen wir, daß die Beratungstelefone wegen fehlender Anrufe eingestellt wurden. Die Konzeption ist auch fragwürdig, daß an einem Tag in der Woche jemand für z.B. 2 Stunden dort rumsitzt und auf Anrufe wartet. Der wird auf jeden Fall frustriert sein.

In unserem Falle wird schon öfter mal angerufen, aber vielleicht deshalb, weil wir auch Zeitungsarbeit machen. Auf jeden fall jedoch, weil das Telefon in unserer WG steht und nahezu immer jemand da ist, der Fragen beantwortet oder auf Zeiten verweist, wo jemand Kompetentes dafür da ist, bzw. der andere Beratungsangebote benennen kann. Letztlich ist unsere Arbeit nur ein Angebot wie viele andere Angebote.
(Joachim Schönert)
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