68. LUST, Oktober/November 01
 
Die deutsche Lesben- und Schwulenpolitik
Der deutsche Staat hatte sich seiner lesbischen und schwulen MitbürgerInnen besonders angenommen. Während Lesben einfach ignoriert, vereinzelt und somit unsichtbar wurden, verfolgten staatliche Stellen schwule Männer besonders intensiv: Schwule Männer wurden, mit dem rosa Winkel gekennzeichnet, vom deutschen Nazistaat verurteilt und nach der Gefängnisstrafe in Konzentrationslager gebracht und dort, oft auch von Mithäftlingen, besonders gequält. In der jungen Bundesrepublik galt der von den Nazis verschärfte § 175 StGB bis in die 60er Jahre, danach bis 1994 in abgemilderter Form. Zahlreiche Männer wurden wegen „widernatürlicher Unzucht“ eingesperrt. Wie geht der Staat und wie gehen wir mit unserer Geschichte um?
 
Staat, was ist das eigentlich?
Was ein Staat ist
und welche Aufgaben er hat, das ist in der Geschichte und in der Politik sehr umstritten. Es gab eine Zeit, in der ein Monarch das Gebiet, über das er herrschte, als ein persönliches Eigentum betrachtete. Da bestimmte der Adel auch die Religion, nach deren Regeln die Untertanen zu leben hatten. Und sie hatten natürlich so zu leben, wie es dem Adel, der ja bekanntermaßen von Gott eingesetzt war, politisch und wirtschaftlich nutzte. Die Ohrenbeichte war gewissermaßen die Stasi des Mittelalters, denn Kirche und Staat stellten ja eine Einheit dar.

Staat ist natürlich, nüchtern betrachtet, die Verwaltung über ein Gebiet der Erdoberfläche. Ein Apparat. Er dient der jeweils herrschenden Menschengruppe. Die Philosophen und Politikwissenschaftler sind sich uneins darüber, ob der Staat immer das Machtinstrument einer herrschenden Menschengruppe oder Klasse darstellt, oder ob er sich gegenüber der herrschenden Klasse auch verselbständigen kann. Die Führung des Staates ist indes die Regierung, die mal durch Revolutionen, mal durch einen Staatsstreich an die Macht kommen kann, ach ja, auch durch Wahlen.

In der Monarchie war leicht nachzuweisen, dass der Staat und die ihn führende Regierung letztlich Befehlsempfänger der herrschenden Klasse ist: des Adels im Verein mit dem Klerus. Aber auch da ist es schon schwierig, denn manchmal gab es Rivalitäten zwischen der eher weltlich-praktisch ausgerichteten Regierung und dem Klerus, also dem Machtapparat der jeweils vorherrschenden Kirche oder wie die jeweilige religiöse Machtgruppe sich zu nennen beliebt. Oft waren auch Kirche und Staat ein und das Selbe. Der Monarch jedenfalls, ob er gleichzeitig auch Gott oder oberster Priester war, ist in der Monarchie von Gott ausgewählt, eingesetzt usw.

Der moderne Staat ist Eigentum der Staatsangehörigen, eine öffentliche Einrichtung eben eine ”Res” (Sache) ”Publika” (der Öffentlichkeit), eine Republik. Wer ist aber nun die Öffentlichkeit, die die Regeln des Zusammenlebens bestimmt? Nun, laut Verfassung ist der Souverän (also der Herrscher) bei uns derzeit ”das Volk”. Alles was also der Apparat macht, im Auftrag der Regierung, das ist der Wille des Volkes. Und die Regierung, die vertritt uns, das Volk, weil wir es nicht selbst können. Da ist bei uns etwas Ungenaues bei der Regierung, wir wählen nämlich nur die Abgeordneten, unsere Volksvertreter. Sie vertreten uns. Diese bilden die gesetzgebende Mehrheit in den Parlamenten, sie erteilen also die Aufträge. Und diese Versammlung unserer Vertreter wählt dann die, die die Aufträge auszuführen haben, also die Regierung. Na? Ist das nicht toll?

Was einen Menschen zu einem Staatsangehörigen macht, ist wieder gänzlich umstritten. Da gibt es die unterschiedlichsten Vorstellungen. Zum Beispiel gibt es Staaten, derzeit besonders in Süd-Osteuropa und im nahen Osten, da ist ein ”richtiger” Staatsangehöriger nur, wer die richtige Religion hat, oder wie es bei uns im Mittelalter hieß, wer den ”rechten Glauben” hatte. Ganz ohne die Betrachtung der jeweils vorherrschenden Religion geht es also nicht bei der Betrachtung des Staates. Anderswo sei es so, dass die religiöse Frage die Privatsache jedes Staatsbürgers sei. Also in Deutschland zum Beispiel, da kann heutzutage jeder nach seiner Fasson selig werden und z.B. eine Synagoge errichten oder eine Moschee. Naja, kann man da nur sagen, im Prinzip schon.

Und das Volk, das ganze Volk, hat nach 1945 entschieden, dass der von den Nazis verschärfte § 175 StGB einfach weiterzugelten hat, der Männer dafür bestrafte, dass sie miteinander Sex hatten, und zwar bis zu 5 Jahren Zuchthaus, weil dies eine widernatürliche Unzucht sei. Denn im Namen des Volkes wird geurteilt und die Volksvertreter im Parlament repräsentieren den Souverän des Staates: das Volk. Danke, deutsches Volk!

Und das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass es sich gar nicht um nationalsozialistisches Unrecht handele, auch nicht die Ermordungen in den Konzentrationslagern und die Haft dort, weit das Gesetz ordentlich zustande gekommen sei. Aha, was ”ordentlich” zustande kommt, kann kein Unrecht sein, und ein nationalsozialistisches schon gar nicht. Daher können die betroffenen Menschen auch gar keine Wiedergutmachung erhalten für ein Unrecht, was es demnach überhaupt gar nicht gegeben hat. Und man kann doch nichts wieder gut machen, was schon vorher nicht gut war. Das leuchtet doch jedem ein. Oder etwa nicht?
Das Bundesverfassungsgericht hat jedenfalls geurteilt, dass es auch rechtens ist, wenn z.B. Frauen für Homosexualität nicht bestraft werden, Männer dagegen schon, denn den Frauen fiele die sexuelle Enthaltsamkeit leichter, während Männer eben sozusagen alleine schon durch die Form der Geschlechtsorgane sexuell aktiv seinen. Frauen würden zudem Zweierbeziehungen anstreben und Männer (ungeachtet einzelner Gegenbeispiele) ständig Jugendliche verführen. Und die freie Entfaltung der Persönlichkeit sei nicht eingeschränkt, wenn männliche homosexuelle Handlungen grundsätzlich verboten seien, denn ”Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz. Auch auf dem Gebiet des geschlechtlichen Lebens fordert die Gesellschaft von ihren Mitgliedern die Einhaltung bestimmter Regeln; Verstöße hingegen werden als unsittlich empfunden und mißbilligt.” Also wird durch den § 175 StGB im Gegenteil die Entfaltungsfreiheit der Gesellschaftsmitglieder geschützt? ”Das persönliche sittliche Gefühl des Richters kann hierfür nicht ausschlaggebend sein; ebensowenig kann die Auffassung einzelner Volksteile ausreichen. Von größerem Gewicht ist, daß die öffentlichen Religionsgemeinschaften, insbesondere die beiden großen christlichen Konfessionen, aus deren Lehre große Teile des Volkes die Maßstäbe für ihr sittliches Verhalten entnehmen, die gleichgeschlechtliche Unzucht als unsittlich verurteilen.” Also wenn die Kirchen es meinen, dann hat der Staat entsprechend zu bestrafen, weil so viele Mtbürger Mitglied der Kirche sind? Dann, kann ich nur vorschlagen: tretet schleunigst aus!

Ein Anhalt dafür, daß Homosexualität als unsittlich angesehen wird, ergibt sich daraus, daß die Gesetzgebung in Deutschland sich zur Rechtfertigung der Bestrafung der gleichgeschlechtlichen Unzucht stets auf die sittlichen Anschauungen des Volkes berufen hat...” Und da so viele StaatsbürgerInnen Mitglied der Kirche sind, sagt uns die Kirche, was das Volk empfindet. Na Prima. Heute ist die Kirche teilweise durch die BILDzeitung und das 2DF sowie Sat1 ergänzt worden. So entsteht die deutsche Volksseele.

Und die beiden christlichen Kirchen, die könne ja nichts Schlechtes sein und schlechtes tun. Denn sie sind ja Stellvertreter Gottes auf Erden, und auch Gott kann nicht schlecht sein, da ja das Schlechte nur vom Teufel stammt. Die Kirchen haben also bei den Kreuzzügen ganze Völker massakriert, weil dies ein ”gutes Werk”, Gottes Wille war. Die Sünde von Sodom, wo die Sodomiter offensichtlich miteinander Sex hatten, wurden ja von Gott dafür vernichtet und nicht vom Teufel. Also war es gut getan. Nur Loth konnte mit seiner Frau dem Inferno entkommen, sein ”Weib” jedoch, das zurücksah, erstarrte dafür zu einer Salzsäule. Gott tut also immer Gutes. Wie bei der Sintflut, da hatte es Gott nicht gepasst, wie sich die Menschen benahmen, und deshalb hatte er sie einfach ersäuft. Naja, lassen wir das, die Kirche ist völlig unverdächtig, etwas Schlechtes zu tun. Also sind wir schlecht, de Teufels vielleicht.

Staat und Kirche scheinen sich auch heute noch gegenseitig zu benötigen, denn das Einziehen der Kirchensteuer ist ja ein staatlicher Service, der nur den beiden Staatskirchen zugute kommt und nicht den anderen religiösen Gemeinschaften. Und das vom Verfassungsgericht verurteilte aber immer noch durchgeführte Aufhängen von ganz bestimmten religiösen Symbolen an staatlichen Schulen scheint dem bayerischen Staat auch sehr wichtig zu sein.

Politiker möchten vielleicht auf die religiöse Argumentationshilfe nicht verzichten, wenn es darum geht, die Bevölkerung zugunsten einer ungeliebten ”Notwendigkeit” zu überzeugen. Dafür gewährt der Staat wohl den Kirchen die entsprechenden Privilegien. Hätte bei uns eine nichtreligiöse oder gar anti-religiöse Regierung eine Chance? Ich glaube es nicht. Sie hätte weder die Möglichkeit, an die Macht zu kommen, noch die Möglichkeit, eine Zeitlang ungestört zu regieren. Was sollen diese Spekulationen im Zusammenhang unserer Fragestellung?

Religionen sind nicht nur Sichtweisen, denen man glauben kann wie auch nicht, sondern eben auch Lebensentwürfe mit Verhaltensvorschriften, Gemeinschaften von Menschen mit gemeinsamen Sprachreglungen. Gemäß ihrer Werte integrieren und grenzen sie aus, loben und tadeln sie, belohnen und strafen sie. Sie überlassen das Urteil nicht Gott, sondern arbeiten im vorauseilenden Gehorsam. Sonst gäbe es ja gar keinen Grund für die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat, an der beide profitieren.

Als religiöser Mensch hat man nicht das Recht, sich anderen religiösen Auffassungen anzunähern oder sein Leben anders gestalten zu wollen, da nahezu alle Religionen Gehorsam verlangen. Unabhängig der jeweils vorherrschenden politischen oder religiösen Sichtweisen oder Werte ist es immer für uns Lesben und Schwule von Vorteil, wenn Staat und Kirche möglichst getrennt sind und wenn möglichst unterschiedliche religiöse Auffassungen wie auch nationale und kulturelle Eigenarten geduldet werden. Was speziell den Einfluss der christlichen Religion nicht nur auf unser Leben betrifft, werden wir das in einem Referat am 14.12.01 in Wiesbaden vortragen. Hier in diesem Beitrag geht es nun um den deutschen Staat.
 
Die Antike und das Mittelalter
Als das Römische Reich christlich wurde, sagen einige Geschichtskundige, kam auch die Strafbarkeit von abweichenden Verhaltensweisen auf. Vorher schon war die römische Republik von einer Demokratie schrittweise in eine Militärdiktatur umgewandelt worden und Cäsar, der erste Militärdiktator Roms, war mit seinem Namen auch Titelgeber einer Vielzahl von Militärdiktatoren (Cäsar, Kaiser, Schah, Zar usw.). Der Staat griff nun im christlichen Sinne tief in das Leben der römischen Bürger ein, nachdem das Römische Imperium mit seiner Hauptstadt Byzanz das Christentum nun als staatstragende Ideologie nutzte. Der staatliche Christenverfolger Saulus hörte also eines Nachts (nach dieser Staatsentscheidung) einen Engel und wurde dann im Auftrag des Staates zum Paulus, der im Römerreich dafür sorgte, dass das Christentum auch überall staatstragend verstanden und ausgelegt wurde.

Die Sünde von Sodom wurde ja im alten Testament von Gott streng bestraft. Der römische Kaiser in Byzanz, der nun ”Stellvertreter Gottes und oberster Verkünder des Glaubens sowie der oberste Brückenbauer Pontifex Maximus” war, hatte ja nun die Aufgabe übernommen, die traditionelle staatliche Ordnung mittels dieser Religion auch für die nächsten Jahrhunderte zu sichern. Dies konnte man offensichtlich auch, in dem die Obrigkeit von den Untertanen eine Moral des Entbehrens (auch in sexuellen Fragen) erwartete, wofür man dann belohnt werden sollte, wenn man tot ist.

Diesen Titel ”Stellvertreter Gottes und oberster Verkünder des Glaubens, Pontifex Maximus” gab sich später nach dem Zerfall der weströmischen Provinzen und der Gründung des fränkischen weströmischen Reiches der Provinz-Bischof von Rom. Der Provinz-Bischof von Rom rivalisierte also mit dem römischen Kaiser in Byzanz. Die Stadt Rom war ein winziges Provinznest und von Malaria verseucht, da die Pontinischen Sümpfe, seinerseits von den Etruskern trockengelegt, wieder neu versumpft waren. Die römischen Bauern waren nämlich unterdessen Legionäre geworden.

Nach dem Zerfall der west-römischen Provinzen des Imperiums waren freie Bauerngesellschaften kultur- und rechtsprägend, und der einzige Zusammenhalt geschah durch die römische Kirche. Priester stellten also eine Art staatliche Obrigkeit dar. Später schaffte sich der Klerus auch eine militärische Hausmacht, in dem der König der Franken vom Papst zum römischen Kaiser ausgerufen wurde. Dadurch wurde ein zweites römisches Kaiserreich gegründet. So gab es nun zwei Römerreiche: Das erste Kaiserreich, das vom Kaiser in Byzanz regierte, und das zweite vom Papst und seinem ihm verpflichteten Kaiser regierte, das ”Heilige Römische Reich” des Mittelalters.

Wie man mit Homosexualität im einzelnen umging, ist nicht wesentlich festgehalten. Es handelte sich um eine Sünde, weil es eine Abweichung von der Norm darstellte. Mit dem Begriff ”Sodomie” wurden männliches und weibliches homosexuelles Verhalten, Selbstbefriedigung und sexuelle Handlungen mit Tieren bezeichnet, also Abweichungen von der Zeugungs-Norm. Außerehelicher Geschlechtsverkehr scheint nicht mitgemeint zu sein, da die Auffassung, was eine Ehe ist, doch sehr überschätzt wird, wegen ihrer heutigen Bedeutung als juristisch-staatliche Einheit.

Im Mittelalter glaubte man nicht daran, dass es eine besondere Menschengruppe geben könnte, die Homosexuellen. Ein Name für homosexuelle Menschen war noch gar nicht erfunden. Es war ein nicht zu billigendes Verhalten, was auffiel, im wesentlichen bei Männern, und der Verbreitung dieser Sünden wollte man Einhalt bieten. Später, als man versuchte, die Menschen noch enger religiös gleichzuschalten, kam die Missetat der Ketzerei hinzu, unter der sexuell abweichendes Verhalten beschrieben und verurteilt wurde. Dies geschah im wesentlichen im Zusammenhang mit Inquisitionsverfahren. Es gibt hier eine Reihe von Urteilen in verschiedenen Texten und Äußerungen, besonders von Priestern.
 
Und die Strafen waren recht drakonisch: Auspeitschen (Geiseln), Vierteilen, Verbrennen, zu Tode foltern, in Käfige sperren und verhungern lassen oder dem Gespött der anderen Bürger aussetzen und dann verbrennen usw. Es traf zumeist männliche Homosexuelle. Nur der Pfarrer von Groß-Sankt-Martin zu Köln meinte 1484, sich auf den Römerbrief von Paulus beziehend, dass die selbe Sünde unter Frauen ebenso zu bestrafen sei. Aber dies war eine Ausnahme. Das (west)römische Reich war zu dieser Zeit weitgehend von der Kirche gesteuert, die adligen Grund- und Landesherren waren mit Kirchenfürsten verwandt oder selbst Kirchenfürsten, wenngleich der Adel versuchte, sich immer mehr zu verselbständigen.
 
Die Peinliche Halsgerichtsordnung
1532 entstand unter Kaiser Karl V. das erste ”Reichsstrafgesetzbuch”: ”Die Peinliche Halsgerichtsordnung”. Dort wurde im Artikel 116 bestimmt:
 
 ”Straff der vnkeusch, so wider die natur beschicht:
Item so eyn mensch mit eynem vihe, mann mit mann, weib mit weib, vnkeusch treiben, die haben auch das leben verwürckt, vnd man soll sie der gemeynen gewohnheyt nach mit dem fewer vom leben zum todt richten”

Der (west)römische Kaiser und zugleich spanische sowie deutsche König, dann noch Herr über das heutige Benelux, Italien, Portugal, die neuen spanischen Kolonien Mexiko, Peru und in Asien die späteren Philippinen usw. hielt es offenbar für nötig, für sein riesiges Reich, das fast ganz Europa und andere Teile der Welt umfasste und sich mittels der neuen Spanischen Kolonien zur Weltmacht auswuchs, einheitliche rechtliche Richtlinien zu schaffen. Und diese Richtlinien bestimmten auch in den mitteleuropäischen Kleinstaaten, aus denen sich später das deutsche Reich bildete, das rechtliche Leben.

Teilweise duldete man homosexuelles Verhalten, teilweise gab es Phasen intensiver staatlicher Verfolgung. Man hat nur Urteile aus unterschiedlichen Regionen überliefert und kann aus denen die Lebensbedingungen der Menschen, die homosexuelle Handlungen praktizierten, kaum nachvollziehen. Auch aus den mitteleuropäischen Regionen, aus denen später das Deutsche Reich wurde, gibt es nur wenig Hinweise. Dies wäre eine interessante Aufgabe für den Geschichtsforscher. Lange Jahre bis weit in die Neuzeit hinein war nun die peinliche Halsgerichtsordnung die Grundlage der Verfolgung homosexuell handelnder Menschen.
 
Bürgerlicher Liberalismus und Napoleon
Gegen Ende des 18 Jahrhunderts setzte sich endlich eine mildere Auffassung durch. Todesstrafen wurden kaum noch verhängt. Aufklärer meldeten sich zu Wort und forderten die Abschaffung der entsprechenden Bestimmungen. Dies geschah nicht, weil man die Homosexuellen als eine Gruppe entdeckt hätte und ihnen nun beistehen wollte, sondern um zugunsten einer liberaleren bürgerlichen Ordnung die Vorherrschaft der Kirche und des Adels zu brechen.

Mit der Entwicklung früher marktwirtschaftlicher Strukturen und dem daraus resultierenden auftauchenden Liberalismus wie der Gründung von bürgerlichen Nationalstaaten tauchte auch der Gedanke auf, dass es Menschen überlassen sein muss, wie sie sexuell handeln. Man forderte die Gewerbefreiheit, die Meinungsfreiheit und die Glaubensfreiheit. Dass die Obrigkeit von Gott eingesetzt worden sei, war vielen Menschen nicht mehr glaubhaft. In liberaleren Zeiten kümmerte man sich nicht darum, was die Leute in den Betten tun, in eher nationalistischeren Zeiten versuchte man eher den Schulterschluss mit dem Adel und der Kirche, was für uns Lesben und besonders Schwulen natürlich verheerend war.

In Frankreich beschloss nach der Revolution die revolutionäre Konstituante 1791 die Aufhebung der Sodomiestrafen. Napoleon, der sich mit einem Staatsstreich als Militärdiktator zum Kaiser ausrufen ließ und so das Erbe des Römerreiches nach Frankreich holen wollte, beendete die Existenz des weströmischen Reiches, und der Kaiser des ”Heiligen Römischen Reiches” wurde nur noch Kaiser des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn, der der bürgerlichen Nationalstaatsidee trotzte.

Als dann die französischen Revolutionstruppen quer durch Europa zogen, jubelte ihnen besonders das Bürgertum zu, denn mit den französischen Truppen kam auch das bürgerliche Recht, der Code pénal Napoleons. Der schaffte nicht nur die Gewerbe- und Glaubensfreiheit, er beendete auch jegliche Sonderbehandlung der Homosexuellen. Die Altersgrenze für sexuellen Jugendschutz lag nun bei 15 Jahren. Das mit Frankreich verbündete aufgeklärt regierte Königreich Bayern verzichtete in seinem neuen Strafgesetz von 1913 ebenfalls auf Sonderbestimmungen zur ”widernatürlichen Unzucht”. Als generelle Jugendschutzgrenze galt hier das Alter von 12 Jahren. Anders war es in Preußen, dort wurde zwar die Todesstrafe für homosexuelle Handlungen abgeschafft, aber homosexuell handelnde Männer wurden weiterhin mit Zuchthaus und anschließender Verbannung bedroht.
 
Das preußisch-deutsche Kaiserreich
Der Norddeutsche Bund, ein Vorläufer des preußisch-deutschen Kaiserreiches, hielt weiterhin an der preußischen Strafbarkeitsreglung fest, und es war zu befürchten, dass bei der Reichsgründung unter preußischer Führung das gleiche Strafrecht in allen dann deutschen Königreichen und Fürstentümern Einzug halten würde. Der königlich hannoveranische Jurist Karl Heinrich Ulrichs versuchte, bei diversen Juristenkongressen, dies zu verhindern, was zu seiner Entlassung aus dem königlich hannoveranischen Staatsdienst führte.
 
Von ihm stammt die Annahme, dass es sich bei homosexuell empfindenden Menschen um eine (biologisch) eigene Menschengruppe handele, die mit homosexuellen Neigungen geboren sei. Schwule Männer nannte er Urninge, und seinen Urningbund, ihn und seine FreundInnen, Freunde und BündnispartnerInnen kann man als die weltweit erste bekanntgewordene politische homosexuelle Initiative ansehen.

Der Norddeutsche Bund, ein Staatenbund von 22 Staaten und freien Städten, stand unter preußischer Führung, geboren aus dem Deutschen Zollverein. Er war ein Bund, der das Ziel hatte, einen deutschen Nationalstaat unter preußischer Führung zu gründen, eine ”Gründung von oben”. Der preußische König hätte nämlich schon die ihm 1848 von der Paulskirchenversammlung angetragene deutsche Kaiserkrone annehmen können. ”Der Ludergeruch des Volkes klebt an ihr”, war der damalige Ablehnungsgrund. Das Volk riecht nach Aas, nämlich nach Revolution und dem Tod der Monarchie.

Im Deutsch-Französischen Krieg schlossen sich die süddeutschen Staaten an und der Norddeutsche Bund nahm 1870 den Namen ”Deutsches Reich” an. Dies war die sogenannte ”kleindeutsche Lösung” unter Ausschluss von Österreich-Ungarn. 1871 wurde in Versailles bei Paris aufgrund des militärischen Triumphes über Frankreich (und so des adligen Triumphes über die Revolution) der preußische König zum Deutschen Kaiser ausgerufen und das Deutsche Kaiserreich gegründet, von Gottes Gnaden.

Trotz eines zur Entkriminalisierung ratenden Gutachtens einer Mediziner-Deputation, hielt der 1869 erstellte Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund weitgehend an den preußischen Reglungen der Strafbarkeit fest. Begründet wurde dies mit dem ”Rechtsbewusstsein des Volkes”, das die Handlungen ”nicht bloß als Laster, sondern als Verbrechen” beurteilte.
 
1870 am Ende der Beratungen im Norddeutschen Reichtag erhielt der Paragraph die Nummer 175. Widerstand seitens der süddeutschen Staaten dagegen gab es nicht. Unter ”widernatürlicher Unzucht” wurden ”beischlafähnliche Handlungen” zwischen Männern verstanden, nämlich Anal-. Oral- und Schenkelverkehr. Gegenseitige Onanie blieb demnach straffrei, woran sich die unteren Gerichte jedoch nicht immer hielten.

1897 gründeten vier Männer um den Berliner Arzt Magnus Hirschfeld das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee, einen Verband mit dem Ziel, zur Abschaffung des § 175 RStGB beizutragen. Hier wurde die Homosexualität (das 3. Geschlecht) biologisch gerechtfertigt. (Der Gegenspieler des WhK, der homosexuelle Verleger Adolf Brand, ging von der Bisexualität aller Menschen aus, erkennbar an den überaus zahlreich auftretenden pubertären gleichgeschlechtlichen Spielen).

Die SPD konnte für eine Petition gegen den § 175 RStGB gewonnen werden, 1898 (Erstunterzeichner August Bebel) wurde die Petition an den Reichstag zur Abschaffung des § 175 eingerichtet. Die anderen Parteien lehnten 1905 den Antrag ab. Ein neuer Regierungsentwurf 1909 sah sogar vor, den Straftatbestand auf weibliche Homosexualität auszudehnen.
 
Das war die Folge des von der SPD hochgespielten Homosexualitätsskandals zwischen Kaiser Wilhelm II. und einem engen Freund und Berater Phillip von Eulenburg. Die SPD-Presse denunzierte auch den Waffenfabrikanten Krupp, der auf Capri seine Spiele mit den Jünglingen dort trieb, um gegen die Kanonenbootspolitik vorzugehen.
 
Das verhinderte zwar nicht die Kanonenbootspolitik, trieb jedoch Friedrich Krupp 1902 in den Selbstmord. Der ”Skandal” führte zu verstärkter antihomosexueller Repression, denn es finden sich in solchen Zeiten, wo sie es machen können immer Übereifrige. Der Antrag zur Verschärfung des § 175 RStGB wurde aber wieder fallengelassen, als sich die Stimmung einige Zeit nach den Krupp- und Eulenburg-Skandalen wieder etwas beruhigt hatte.
 
Weimarer Republik und der deutsche Nazi-Staat
Von 1871 bis 1918 existierte der erste deutsche Nationalstaat, das Deutsche Kaiserreich, und endete in einem Weltkrieg. Dieser Krieg, von Deutschland angezettelt, hörte erst auf, nachdem das deutsche Kaiserreich, das russische Zarenreich, das Kaiserreich Österreich-Ungarn sowie das Türkische Weltreich (das Osmanische Reich) vernichtet waren. Überall entstanden einerseits Nationalstaaten oder (aus dem Zarenreich) das, was man für das Gegenteil davon hielt, eine Union von sozialistischen Republiken.

Aus Deutschland wurde keine Räterepublik, sondern eine parlamentarische Republik. Es war dies eine Demokratie, hinter der viele wirtschaftliche, politisch und andere führende Kräfte gar nicht standen, bis hin zum Militär als ”Staat im Staat”.

Anders als der französische Patriotismus, der verknüpft mit Demokratie und Republik ist, existiert ein deutscher Nationalismus, der die Rechte des Individuums weniger achtet. In Frankreich entstand nach der Revolution gegen Adel und Kirche ein Patriotismus, der sich gegebenenfalls auch gegen eine Obrigkeit richten kann, die sich anschickt, die Rechte des Individuums einzuschränken.

Der deutsche Nationalismus ist kein Patriotismus. Er kommt aus dem Gefühl des Pinschers, der die Welt erobern wollte und daran gehindert wurde. Überall wittert er, gegenüber ”Fremden” benachteiligt zu sein. Rechte Kräfte aus der Aristokratie der Kaiserzeit und rechte Kräfte aus den ärmsten Schichten der Bevölkerung bildeten eine furchtbare Mischung von Sozialneid, Menschenverachtung und rassistischen Dünkel, der sich mit einer unsozialen menschenverachtenden Obrigkeit verbündet und seine Opfer unter den Wehrlosen suchte.

Ein Nationalstaat ist nicht multikulturell. Dieses Gebilde des Bürgertums gilt als eine historische Errungenschaft. Der Nationalstaat bedarf einer ”gemeinsamen” kulturellen, sprachlichen, religiösen usw. die sozialen Schichten und Klassen übergreifenden Identität. Je stärker soziale Spannungen entstehen, umso stärker soll die Gemeinsamkeit der Kultur und Sprache das Ganze zusammenhalten. Das ”Wir” und ”Die Anderen” soll ständig zwischen arm und reich kitten, und die anderen sind andere kulturelle Identitäten.
 
Außerdem benötigt aber das Bürgertum auch die Freiheit des Individuums zu seiner Entfaltung. Aber je größer die sozialen Konflikte sind, um so stärker versucht man das Gefühl ”Wir und Die Anderen” auszubauen, was für Menschen, die eine andere religiöse, nationale aber auch sexuelle Identität haben, gefährlich wird. Je größer das Gemeinschaftsgefühl, umso größer die Ausgrenzung von Menschen, die in der einen oder anderen Weise dem nicht entsprechen können oder wollen.

Und je größer der Fanatismus ist, mit dem über sozialen Abstieg einerseits und super Gewinnen andererseits hinweggespielt werden soll, um so größer ist die Gefahr, dass aufgehetzte BürgerInnen das ”Recht” selbst in ihre Hand nehmen wollen und gegen nationale, sexuelle und religiöse Minderheiten vorgehen. Sie glauben dann, das es ihnen selbst besser gehen würde, wenn ”Die Anderen” nur weg wären. Dass dies teilweise Völkermord oder Ähnliches bedeutet, ist den Menschen in solch einer Lage oft nicht wichtig, wenn sie nur genügend fanatisiert sind.

In der Weimarer Republik galt der § 175 RStGB weiter, und die Versuche des WhK, durch Integration (Anpassung) hier weiterzukommen, waren nicht besonders erfolgreich.
Es entstand allerdings in den großen Städten eine großstädtische Subkultur sowohl der Schwulen als auch der Lesben. Berlin wurde trotz der Gefahr, verhaftet zu werden, zu einer europäischen homosexuellen Pilgerstätte. Magnus Hirschfeld, der Mitbegründer des WhK und der bekannteste Repräsentant der Initiative gegen den § 175 wurde schon 1920 von einem ”völkischen Jugendlichen” niedergeschlagen und las am nächsten Tag in den Zeitungen von seinem Tod, was darauf hindeutet, dass dies keine zufällige Tat eines gestörten Jugendlichen war, wie die bei Anschlägen von recht immer behauptet wird.

Außer dem WhK (Magnus Hirschfeld, Kurt Hiller usw.) gab es als größere überregionale Organisationen noch ”Die Gemeinschaft der Eigenen” (Adolf Brand, siehe Bild links) und den ”Deutschen Freundschaftsverband” (Friedrich Radzuweit), der sich 1923 in ”Bund für Menschenrechte” umbenannte.
 
Durch den Fall des Mörders Haarmann (1924), der 27 junge Männer ermordete, wurde die Diskussion um die Neufassung des § 175 RStGB negativ beeinflusst. Hirschfeld, der sich 1930 auf einer Weltreise befand, wurde wegen der nationalistischen Hetze gegen ihn gewarnt, nach Deutschland zurückzukehren. Hirschfeld äußerte sich selbst allerdings auch positiv zur Rassenlehre und Adolf Brand gab die Bilderreihe ”Rasse und Schönheit” heraus. Hirschfeld ging 1932 ins Exil in die Schweiz und dann nach Frankreich, wo er starb.

Nach der Ernennung von Hitler zum Reichskanzler, der Machtergreifung der Nazis 1933 beschlossen die Nazis im März die Schließung der Lokale und die Einstellung der Zeitschriften. Im Mai wurde das Institut für Sexualwissenschaft geschlossen. Hirschfelds Bücher wurden neben denen von Freud und vielen anderen verbrannt.
 
Die Organisationen lösten sich auf, die Aktivisten stellten die Arbeit ein. Ihre Sprecher wurden entweder stillschweigend geduldet (Adolf Brand), gingen ins Exil (Hirschfeld) oder wurden verhaftet (Kurt Hiller), der nach seiner Entlassung ebenfalls ins Exil ging. Trotz der Verfolgung gab es auch noch 1935 versteckte Treffpunkte für homosexuelle Männer. Dort wurden, wenn diese Tatsache ruchbar wurde, Razzien durchgeführt.

Schwule in den Nazi-Organisationen ließ man anfänglich gewähren. Als sich, noch in der Weimarer Republik, Beschwerden gegen die SA-Führung häuften, erklärte Hitler, dass die SA kein Bibelkränzchen sei. Als die SPD die Homosexualität von Ernst Röhm in ihren Medien nutzen wollte, um vor der SA zu warnen, glaubten die antischwulen Nazi-AnhängerInnen diesen Meldungen nicht und unter Schwulen hatte das Hitler-Zitat die Auswirkung, dass sich bestimmte Teile der Schwulen aber auch Lesben von den Nazis angezogen fühlten.
 
Die homosexuellen Nazis vertraten die Ansicht, dass man mit seiner sexuellen Identität nicht in die Öffentlichkeit gehen solle, das sei eine Privatsache. Homosexuelle Nazis ermöglichten später das Verhaften von Schwulen, weil ihnen viele bekannt waren. Z.B. in Wiesbaden fuhren die Wagen durch die Straßen und homosexuelle Nazis sowie Stricher zeigten den Polizisten, wen sie als Schwulen erkannten.
Im Lager der Nazis kam es nach ihrer Machtergreifung zu immer größeren Machtkämpfen. Infolge der Ermordung des schwulen Chefs der Sturmabteilung (SA) Röhm (der angebliche Röhm-Putsch), dessen Ermordung man mit seiner Homosexualität begründete, wurde 1935 der § 175 weiter verschärft. Der Nachweis ”beischlafähnlicher Handlungen” war danach zur Verurteilung nicht mehr nötig, es reichte der Versuch einer sexuellen Kontaktaufnahme, was leicht behauptet werden konnte.
 
Ab 1935 wurden die homosexuellen Männer nicht nur ins Zuchthaus, sondern als ”Schutzhäftlinge” in Konzentrationslager gebracht. Dort waren sie, mit dem rosa Winkel gekennzeichnet, zusätzlich noch der Diskriminierung anderer Häftlinge ausgesetzt. Nur wenige der Männer mit dem rosa Winkel überlebten die Lager, die ”Vernichtung durch Arbeit”.

Homosexuelle Männer konnten sich teilweise kastrieren lassen, um entlassen zu werden. 1936 wurde die ”Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität (schwule Männer) und der Abtreibung” eingerichtet. Die Verurteilungen von homosexuellen Männern gingen weiterhin sprunghaft in die Höhe.

Mühe machte den Nazis die Beurteilung der weiblichen Homosexualität. Dass diese im wesentlichen nicht so auffällig sei, dass (auch lesbische) Frauen im Gegensatz zu Männern ihre Sexualität an Liebe knüpfen würden, dass lesbische Frauen dazu gebracht werden könnten, Kinder zu empfangen und auf die Welt zu bringen, bewog die Juristen der Nazi-Zeit, weibliche Homosexualität straffrei zu lassen.

Was heute von Lesben beklagt wird, dass lesbische Liebe im wesentlichen unsichtbar bleiben und ignoriert werden, rettete damals und auch früher schon möglicherweise auch Lesben das Leben.

Vielleicht erscheinen den heterosexuellen Männern lesbische Frauen nur deshalb unsichtbar, weil sie Frauen im wesentlichen nur als Sexualobjekte sehen, als ständiges Angebot an sie, völlig unabhängig vom Willen der Frauen.
Lesben wirken deshalb unsichtbar, weil es nieMANNden interessierte, wie sie empfinden. Frauen, von denen man sagte, dass sie sich ”asozial” verhalten würden, die also ihrer ”Berufung”, die der Nazi-Staat für Frauen vorgesehen hatte, nicht nachkamen oder offen als Lesben ”Ärgernis erregten”, wurden als Asoziale, mit einem schwarzen Winkel gekennzeichnet, in Konzentrationslager verbracht. Dieses Schicksal teilten sie mit anderen unangepassten Frauen und Männern.

Lesben und Schwule gibt es in allen Bevölkerungsgruppen. Viele Lesben und Schwule waren infolgedessen auch unter den Opfern, die mit anderen Begründungen in die Arbeits- oder die Vernichtungslager gebracht wurden.
So kann man wohl sagen, dass unter der größten Opfergruppe, die der 6.000.000 Menschen jüdischer Religion, auch die größte Gruppe von Lesben und Schwulen umgekommen ist.

BRD und DDR
Wie homosexuelle Männer nach der Auflösung des deutschen Reiches behandelt wurden, war erst einmal den Ländern überlassen. Einzelne Länder (Thüringen und Sachsen-Anhalt) lehnen den § 175 StGB gänzlich ab. Dann gründete sich im Mai 1949 aus den amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszonen die Bundesrepublik Deutschland, im Oktober 1949 zog die russische Besatzungsmacht nach und man gründete dort die Deutsche Demokratische Republik.
 

Der § 175 StGB in beiden deutschen Staaten
BRD: In der BRD wurde 1949 die Gültigkeit des Naziparagraphen 175 und 175a bestätigt, also die 1935 von den nazis extrem verschärfte Version. Versuche, ihn als unvereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären, wurden 1957 vom Bundesverfassungsgericht mit abenteuerlichen Begründungen zurückgewiesen. Die Nazifassung galt also bis 1969. Danach wurde bis 1973 ein Mann über 18 Jahren bestraft, der Sex mit einem Mann unter 21 hat. Dies wurde auch "Lex Bundeswehr" genannt. 1973 wured dies insoweit geändert, das ein Mann über 18 bestraft wurde, wenn er mit einem mann unter 18 Sex hatte. Das "Schutzalter" im heterosexuelle und lesbischen Bereich war 14. Der Sonderparagraph 175 wurde erst 1994 durch die rechtsangleichung zwiscchen BRD und DDR abgeschafft, denn man hätte ja schlecht vom "Rechtsstaat Bundsrepublik" einen diskriminieren Starfrechtsbestand in den "Unrechtsstaat DDR" einführen können, wo es diesen Paragraphen nicht mehr gab.
 
DDR: In der DDR wurde die alte Fassung (von vor 1935, also vor den Verschärfungen durch die Nazis) wieder hergestellt. (Nur beischlafähnliche Handlungen führten zur Verurteilung). Es wurde, so weiß man heute, nicht mit großem Aufwand verfolgt. Wahrscheinlich gab es während der DDR-Zeit bis zum DDR-Strafgesetzbuch ca. 1.500 (1949 - 1968, wobei es nach 1957 keine Verfolgung und Verurteilung gab) Verurteilungen.
Danach gab es den Artikel 152 nach dem sowohl Frauen wie Männer für homosexuelle Handlungen verurteilt wurden wer über 18 und ihr ParnerInnen unter 18 Jahre alt waren. Dieses Gesetz wurde 1988 gestrichen. Es gibt keine Zahlen, da hier nicht differenziert wurde. Ein freies homosexuelles Leben hatte keinen wesentlichen Spielraum,
 
Die frühen 50er
Schon im Jahr 1949 gab es im Westen am 17.05. als Geburtstagsfeiern (§ 175) getarnte Bälle und Feiern, besonders in den großen Städten, z.B. in Berlin. Die Tradition, am 17.05. in Lokalen, die zu Schwulentreffpunkten geworden waren, Geburtstagsfeiern durchzuführen, bei denen man sich gegenseitig Sekt ausgab, z.T. auch Blumen schenkte, wurde zumindest in der Bundesrepublik bis in die 70er Jahre gepflegt. Man beglückwünschte sich gegenseitig dafür, dass man am Leben war, dass man nicht eingesperrt war und dass man sich gegenseitig erkannte und verstand.

In der BRD entstanden schwule Zeitschriften, schwule Lokale und man war doch immer in der Gefahr, verhaftet zu werden. Auch hier wurde wieder die Haltung angenommen, dass Lesben nicht zu bestrafen seien, mit der schon bekannten Begründung. Hier entstand von dem Hirschfeldmitarbeiter Giese in Frankfurt die ”Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung”, die sich für die Streichung des § 175 StGB aussprach. Über Gieses Ansatz schrieb Martin Dannecker ausführlich, siehe das von uns herausgegebene 2. NUMMER-Magazin. (Siehe hier unter "Politik" den Link "Politische Diskusionsbeiträge" und dort "Homosexuellenpolitik in den fünfziger und sechziger Jahren")

In der DDR entstanden lediglich private Zirkel von homosexuellen Männer und Frauen. Der DDR-Schriftsteller Johannes R. Becher, der sich in der DDR gegen die Abschaffung des § 175 StGB ausgesprochen hat, wurde in Westberlin auf einer Klappe verhaftet und wegen Verstoßes gegen den §175 StGB verurteilt, dann in die DDR abgeschoben.

Obwohl mehr Männer daran teilnahmen, gab es in der DDR von Anfang an die Zusammenarbeit von Schwulen und Lesben. Es durften keine Schwulenzeitschriften entstehen und keine schwulen Lokale, wobei jedoch in bestimmten Lokalen zu bestimmten Zeiten das Publikum schwul wurde.
 
1951 wurde der Aufsatz ”Die Homosexualität und ihre Bestrafung” von Rudolf Klimmer in der Juristenzeitschrift der DDR ”Neue Justiz” veröffentlicht. Die Petition von Klimmer zur Abschaffung des § 175 an die Volkskammer 1952 hatte keine nennenswerte Resonanz.

Das Bundesverfassungsgericht erklärte 1951 den § 175 in der von den Nazis verschärften Form als mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Bundesgerichtshof entschied, er habe kein Nationalsozialistisches Gedankengut. Es entstanden kleine lokale Gruppen, die die Hirschfeld-Tradition fortsetzten.
 
Die späten 50er
Am 17.06.1953 kam es zum Aufstand gegen die Regierung der DDR, der niedergeschlagen wurde. Dies verhinderte nicht nur, dass eine Gesetzesnovelle umgesetzt wurde. Der Justizminister Fechner wurde der Begünstigung des Volksaufstandes verdächtigt. Um seiner Habhaft zu werden, wurde er homosexueller Handlungen beschuldigt und verurteilt. 1974 wurde in der DDR Homosexualität als gesellschaftsgefährdend diskutiert und die Gefahr der Verführung der Jugend hervorgehoben. Erst 1957 gab es in der DDR erneute Bestrebungen, Homosexualität zwischen Erwachsenen nicht mehr zu bestrafen.

Im gleichen Jahr wurde in der BRD von dem Regisseur Veit Harlan unter Beratung von Hans Giese gedrehte Film ”Anders als Du und ich” vorgestellt, der um Verständnis für Homosexuelle werben sollte. (Veit Harlan war auch der Regisseur des antisemitischen Filmes ”Jud Süß”.) Der spärliche emanzipatorische Gehalt wurde jedoch von der Zensur entfernt, so dass ein eher schwulenfeindliches Machwerk entstand, was dazu führte, dass nicht nur schwule Organisationen zum Boykott aufriefen.
 
Das Bundesentschädigungsgesetz schloss 1957 Homosexuelle von Wiedergutmachungsansprüchen aus. Ausgelöst von einem Strafprozess in Frankfurt begann eine neue Welle von Verhaftungen homosexueller Männer. Die Organisationen stellten ihre Aktivitäten ein. 1959 wertete Giese in dem Buch ”Der homosexuelle Mann in der Welt” Fragebögen aus. Er unterschied zwischen ”bindungsfähigen” und ”bindungsunfähigen” Homosexuellen, womit er letztere Gruppe pathologisierte.
 
60er und70er
1968 wurde, von Hilde Benjamin vorangetrieben, das Strafgesetz der DDR verabschiedet und trat in Kraft. Homosexuelle Handlungen, auch die ”beischlafähnlichen” zwischen Erwachsenen (über 18 Jahre) standen seit dem nicht mehr unter Strafe. Der § 151 StGB der DDR verbot männliche und weibliche homosexuelle Handlungen zwischen Beteiligten über 18 Jahren mit Beteiligten unter 18 Jahren (bei heterosexuellen Handlungen war die Altersgrenze 16 Jahre). Trotz der Entkriminalisierung waren keine Möglichkeiten für eigene Publikationen und für Vereinsgründungen gegeben.
 
1971 kam es zum Machtwechsel. Honecker kam an die Spitze der entscheidenden Gremien der DDR. Homosexuelle Menschen konnten auf größere Freiräume hoffen. Da in der DDR die strenge Trennung zwischen Kirche und Staat galt, konnte sich unter dem schützenden Dach der evangelischen Kirche homosexuelle Gruppierungen treffen, die politisch eher kritisch gegenüber dem DDR-Staat aber auch gegenüber sozialistischen Auffassungen eingestellt waren.
 
Es entstanden aber auch andere Organisationen, besonders nach den X. Weltfestspielen der Jugend. 1975 entstand in (Ost)berlin ein schwul-lesbisches Kabaret ”Hiaré”. Es wurden Bälle organisiert und Diskussionen durchgeführt.

1969 fand die erste Reform des von den Nazis verschärften § 175 (Totalverbot männlicher homosexueller Handlungen) in der Bundesrepublik unter Justizminister Heinemann in der Großen Koalition statt. Männliche homosexuelle Handlungen über 21 wurden nun nicht mehr bestraft. (Zwischen heterosexuellen Männern und Frauen sowie zwischen lesbischen Frauen war die Altersgrenze weiterhin 14).
 
1971 Uraufführung des Filmes ”Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt”. Dieser Film von Rosa von Praunheim wurde 1973 in der ARD gezeigt, allerdings außer in Bayern.
 
In der Folge begann ein wahrer Boom von Gruppengründungen, besonders an Universitäten. 1973 fand dann die 2. Strafrechtsreform statt, die Altersschutzgrenze für männliche homosexuelle Handlungen wurde von 21 auf 18 herabgesetzt.
 
1975 wurde der erste schwule Verlag in Berlin gegründet, der Verlag rosa Winkel. In Hamburg wurde 1976 das Theaterstück ”Brühwarm - ein schwuler Jahrmarkt” aufgeführt.

Und bei uns? 1978 gründet sich in der eher bürgerlichen Mainzer Gruppe IHM die politische Arbeitsgruppe ROSA LÜSTE. Die Gruppe NARGS veranstaltete im Juni 1979 aufgrund ihrer Selbstauflösung in Frankfurt ”Homolulu”, eine einwöchige Tagung mit der wohl ersten schwul-lesbischen Parade in Deutschland. Joachim aus Wiesbaden (ROSA LÜSTE), Egmont aus Berlin (Verlag rosa Winkel) arbeiteten die Homolulu-Resolution aus, einen Forderungskatalog, der zur Grundlage vieler Programme in den neu entstehenden bunten und alternativen Listen und Parteien wurde.
 
Die ROSA LÜSTE verselbständigte sich von der IHM und wurde zur ”politischen Lesben- und Schwulengruppe im Rhein-Main-Gebiet”. Joachim aus Wiesbaden und Corny aus Hamburg luden im Dezember parallel zum Treffen der bunten und alternativen Listen bundesweit politisch engagierte Lesben und Schwule nach Frankfurt ein.
Es entstand ein politische Plattform für eine Zusammenarbeit an die politischen Lesben und Schwulen in der BRD und ein Forderungskatalog. Mit diesem wurde in Listen und Parteien Überzeugungsarbeit geleistet, damit die entsprechenden antihomosexuellen Gesetze bekämpft werden konnten. Rolf aus Frankfurt, Joachim aus Wiesbaden und Corny aus Hamburg wurde als Bewegungsvertreter für den Bundestag diskutiert.
 
Die 80er
In einzelnen DDR-Zeitschriften wie „Deine Gesundheit“ wurde die Homosexuellen-Thematik behandelt, in Tages- oder Wochenzeitungen und in Rundfunksendungen. Ab 1986 kam es zur Gründung von Schwulen- und Lesbengruppen, die sich von den Kirchengruppen distanzierten, z.B. der „Sonntagsclub“. Diese Gruppen wurden von den kirchennahen Gruppen als ”Parteischwule” diffamiert.
 
1988 wurde in der DDR die Schutzaltersgrenze für homosexuelle Handlungen mit der Grenze für heterosexuelle Handlungen gleichgestellt. Damit war Homosexualität aus den Strafgesetzbüchern der DDR verschwunden. 1989 wurde ein Vorschlag zur Gestaltung der Homosexuellenpolitk verabschiedet und an die Volkskammer geschickt. Er geht in den Wendewirren unter. Es entstand aus den Kirchengruppen der Schwulenverband der DDR (SVD).

In Bonn fand 1980 eine Parteienbefragung zum §175 StGB statt. Ein von Joachim aus Wiesbaden ausgearbeiteter Organisierungs-Vorschlag zum Zweck der politischen Handlungsfähigkeit und der bundesweiten Zusammenarbeit bei Fragen von bundesweiten Bedeutung ging in den Wirren zwischen den Organisatoren und solchen Gruppen wie der Indianer-Kommune Nürnberg (Streunende Jungs lebten dort mit Männern pädophil zusammen) und der Berliner Oranienstraßenkommune (Streunende Mädchen lebten dort mit Frauen pädophil zusammen) unter, wurde aber in die schwule Bewegungsliteratur aufgenommen.
 
Ab 1983 wurde auch Aids zu einem wichtigen Thema der Schwulenbewegung. von 1983 - 1986 bedroht die Auffassung des Bayrischen Kreisverwaltungsreferenten Gauweiler homosexuelle Einrichtungen und homosexuelles Leben, indem er mit Schließungen drohte, Zwangstätowierungen und andere Maßnahmen, die uns letztlich nur ein Untergrundleben übrig gelassen hätten.
 
Die Süßmuth-Strategie setzte sich jedoch durch, die stattdessen zum Ziel hatte, die Selbsthilfeorganisationen unserer Szene in die Lage zu versetzen, innerhalb Szene aufklärend wirksam zu werden. Der befürchtete backlash hat zu dieser Zeit nicht stattgefunden. Die Aids-Hilfe wurde innerhalb der Schwulenbewegung zu einem wichtigen Faktor.

Der Skandal um die Entlassung des General Kießling setzt die Szene in helle Aufregung, weil befürchtet wurde, dass dies der Auftakt sein könnte, wieder gegen Schwule vorzugehen.
 
1986 wurde auf Anregung der Würzburger Schwulengruppe und der Zeitung NUMMER (ROSA LÜSTE Wiesbaden) als Zusammenschluss lokaler Gruppen und bundesweiter Organisationen der Bundesverband Homosexualität gegründet.

Der aus den Kirchengruppen stammende Schwulenverband der DDR (SVD) und der Bundesverband Homosexualität (BvH) versuchten in einer gemeinsamen Petition an die Bundesregierung und die DDR-Regierung zu erreichen, dass der § 175 StGB nicht wieder in die DDR eingeführt, sondern in der BRD endlich aufgehoben werde. (Siehe die August/September-LUST 1990)

Neues Gesamtdeutschland und Europa
Der Streit zwischen den Integrations-BefürworterInnen und den Emanzipations-BefürworterInnen ist vorerst einmal dadurch entschieden worden, dass die westlichen Intergrations-BefürworterInnen, die im westlichen Bundesverband Homosexualität keine Mehrheit fanden, in dem von kirchennahen Gruppen der DDR dominierten SVD eine neue Heimat fanden und dort auch nach kurzer Zeit die Führung stellten. Der Schwulenverband der DDR nannte sich nun um in ”Schwulenverband in Deutschland” und breitete sich mit einem neuen Kampagnefähigen Thema in ganz Deutschland schnell aus, mit dem Thema der Homo-Ehe. Unterdessen hat er sich in LSVD (Lesben- und Schwulenverband Deutschland) umgenannt und arbeitet mit dem Völklinger Kreis (Gay-Manager) und andern eher konservativen Organisationen zusammen, ist aber in der Szene mit seiner Kampagnenpolitik erfolgreich. Der BvH löste sich 1996 auf.

1994 wurde im Zusammenhang der Rechtsangleichung zwischen den Gesetzen der BRD und der DDR der §175 StGB abgeschafft, den es in der DDR nicht mehr gab. Dies ist sicherlich auch auf den Druck aus der Schwulenbewegung zurückzuführen. Er ist nun nach 123 Jahren (oder 124 Jahren, je nachdem, wo man historisch beginnt) aus den deutschen Gesetzbüchern gestrichen worden. Homosexualität zwischen Männern ist nun kein Straftatbestand mehr.
 
Dadurch ist aber nicht die allgemeine Schutzaltersgrenze von 14 Jahren angenommen worden. Der § 182 StGB, mit dem Eltern den Liebhaber ihrer Tochter zwischen 14 bis 16 anzeigen konnte, wenn der sie nicht heiratete, ist nun zum neuen Jugendschutzparagraphen geworden, mit dem nun heterosexuelle und homosexuelle PartnerInnen über 26 Jahren von Jugendlichen zwischen 14 und 16 auf Antrag (z.B. der Eltern) bei einigen Formen sexueller Kontakte bestrafen kann.

Im Juni 1997 sandte der ROSA LÜSTE an alle ihr bekannten Lesben- und Schwulengruppen, -Zentren usw. einen Aufruf an solche Lesben und Schwulen, die über die Gleichstellungspolitik hinaus noch emanzipatorische Vorstellungen verwirklichen wollen. Es meldeten sich bundesweit über 100 Personen, die zu einem Großen Ratschlag nach Wiesbaden eingeladen wurden. Hier sollte eine gemeinsame emanzipatorische Politik partei- und verbandsübergreifend beraten werden.
 
Es fanden insgesamt 3 solcher Treffen statt. Beim 3. Treffen wurde diese Initiative von einem Aktivisten aus Berlin mit seinen ihm inhaltlich verbundenen Leuten überrollt, die keine Ratschläge mehr brauchten, sondern allen ein fertiges Programm unter die Nase hielten und verlangten, beizutreten und das Programm zu akzeptieren, mit persönlichen Angriffen solche Strukturen durchsetzten, die eine weitere Politik unmöglich machten. Diese Aktivisten nennen sich nun whk und scheinen als ”Hauptfeind” den LSVD anzusehen (Unterdessen gibt es den whk und seine Zeitschrift Gigi nicht mehr).

Im August 2001 wurde gemäß des Entwurfes des LSVD und seinem Sprecher Volker Beck (Grüne) vom Bundestag ein eigenes Rechtsinstitut für eingetragene PartnerInnenschften der Lesben und Schwulen gegen den Widerspruch von CDU und FDP verabschiedet, bei Enthaltung der PDS, die mehr wollte.
 
Der Streit um diese PartnerInnenschaft ist noch nicht zu Ende. Es wurde nämlich bei weitem keine Gleichstellung mit heterosexuellen Paaren erreicht, deshalb die Enthaltung der PDS. Man hat sich mit einer zweitklassigen Reglung zufrieden gegeben, in der die Steuervorteile, die Vorteile für Verheiratete in Erbrecht und andere wichtige Reglungen vorerst oder generell ausgeschlossen sind. Diese und andere Rechte sind bisher traditionell nur einer einzigen Lebensform, der religiös fundierten heterosexuellen staatlichen Ehe zugedacht.

Aufgrund der Verabschiedung des neuen Rechtsinstitutes ”Homo-Ehe” bliesen CDU/CSU-Abgeordnete Sturm und mobilisierten religiöse und nationalistische FanatikerInnen. Die Homo-Ehe ermöglicht bi-nationalen Paaren ein Bleiberecht und könnte durch Ergänzungen, die im Bundesrat eine Mehrheit benötigen, auch die steuerlichen und erbrechtlichen Benachteiligungen beseitigen.
 
Andererseits hilft diese Homo-Ehe nur solchen Lesben und Schwule aus der Diskriminierung ihrer partnerInnenschaft, die gemäß der Strukturen einer heterosexuellen Ehe zu zweit zusammenleben möchten. Es scheint, dass durch dieses Rechtsinstitut der Weg zur weltanschaulich neutraleren Anerkennung von unterschiedlichen selbstgewählten PartnerInnenschften dadurch für lange Zeit verbaut ist.

Im Euroland gibt es ganz unterschiedliche gesetzliche Reglungen, was die staatliche Anerkennung eines Teiles der PartnerInnenschaften von Menschen unserer Szene betrifft, nämlich die auf Dauer eingerichteten relativ altersgleichen PartnerInnenschaften von nur 2 Menschen des gleichen Geschlechts. Kann im Rahmen der staatlichen Gesetze mehr in unserem Sinne erreicht werden? Mir scheint dies derzeit fraglich zu sein.

Wir erleben gerade in Euroland den Abbau von Sozialsystemen, zunehmende soziale Not und andererseits immer größere zwischenmenschliche Kälte, Intoleranz bis hin zur Brutalität. Erfahrungsgemäß ist das der Zustand, bei dem man in der Vergangenheit in den Nationalstaaten mit weniger persönlicher Freiheit und dabei mit Mobilisierung von Ideologien reagierte, die eine Gemeinsamkeit zwischen den Gewinnern und Verlierern suggerieren, beispielsweise nationalistischer oder religiöser Natur.
 
Dies bedeutet andererseits die Ausgrenzung und hasserfüllte Verfolgung von Menschen, die ”anders” sind und die beschuldigt werden, die VerursacherInnen der Not zu sein. In Europa zeigt sich das gleiche, was sich auch an anderen Stellen der Welt erkennen lässt: religionsfundamentalistische und nationalistische Gruppierungen bekommen die Überhand, werden von den schwächelnden MachthaberInnen mit ins Boot geholt, besonders von konservativen politischen Parteien.
 
Im Österreich regiert eine konservative Partei mit dem nationalistischen Demagogen Haider. In Italien regiert der doch sehr umstrittene Berlusconi mit rechtkonservativen Separatisten der Lega Nord und mit faschistischen Koalitionspartnern. In Genua lassen sich die Staatschefs der 8 reichsten Länder von seinen nicht gerade demokratischen Polizisten beschützen. In Deutschland bereitet sich die CDU darauf vor, den nächsten Bundestagswahlkampf mit dem Thema der nationalen Identität zu führen. Das alles ist sehr bedrohlich und kann zu einem furchtbaren Fiasko besonders für Minderheiten führen, wenn wir nicht besonders dagegen derart entschlossen vorgehen, dass es verhindert wird. In solchen Zeiten, die sich ankündigen, ist mit emanzipatorischen Erfolgen kaum zu rechnen, eher im Gegenteil.

Die ROSA LÜSTE geht davon aus, dass die rechte Gefahr aus der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft stammt, indem rechte Kräfte durch sie ins Boot geholt werden und somit stubenrein erscheinen. Deshalb versuch die Gruppe bundesweit Lesben und Schwule für eine gemeinsame Politik ”was tun gegen rechts” anzuregen. Andererseits versucht die ROSA LÜSTE BündnispartnerInnen zu gewinnen, damit das Recht des einzelnen, über sich und sein Leben selber zu entscheiden, nicht schon wieder zugunsten eines klassenübergreifenden nationalen oder religiösen Geinsamkeitsgefühles geopfert wird, wodurch die Nichtintegrierten in größte Gefahr geraten. (js)
 
Rainer Herrn, Anders bewegt, 100 Jahre Schwulenbewegung in Deutschland, MännerschwarmSkript, Hamburg 1999
Rüdiger Lautmann und Angela Taeger (Hrsg.) Männerliebe im alten Deutschland, Sozialgeschichtliche Abhandlungen, Verlag rosa Winkel, Berlin 1992
Die Geschichte des § 175, Srafrecht gegen Homosexuelle, Katalog zur Ausstellung in Berlin und Fankfurt, Verlag rosa Winkel, Berlin 1992
Hang-Geog Stühmke, Rudi Finkler: Rosa Winkel, Rosa Listen, Homosexuelle und ”Gesundes Volksempfinden” von Auschwitz bis heute. rororo aktuell, Reinbek 1981
Wolfgang M. Weber, Homosexualität und Homophobie, Eigendruck im Selbstverlag Mainz 1980
§ 175, Ein deutscher Paragraph und seine Geschichte, Homosexuelle Selbsthilfe Rosa Strippe Bochum, 1983
Gudrun v. Kowalski, Homosexualität in der DDR, ein historischer Abriß, Verlag Arbeiterbewegung und Gesellschaftswissenschaft, Marburg 1987

Home