- http://www.gruene-wiesbaden.de
-
- Bündnis 90/DIE GRÜNEN
- Kreisverband Wiesbaden
-
-
- Rosa Lüste
Postfach 5406
65044 Wiesbaden
-
- Wiesbaden, den 16.03.2006
-
- Ihre Parteibefragung zur Kommunalwahl 2006
-
- Lieber Joachim Schönert,
liebe Freundinnen und Freunde,
sehr geehrte Damen und Herren,
-
- zunächst bitten wir die verspätete Beantwortung
Ihrer Fragen zu entschuldigen, aber Ihr Schreiben war zwischen
Kreisverband und der GRÜNEn Rathausfraktion hängen
geblieben.
-
- Falls Sie die folgenden Antworten noch bei der Veröffentlichung
auf Ihrer Homepage berücksichtigen könnten, wären
wir Ihnen dankbar.
-
- Zu Ihren allgemeinen Fragen:
- Zu 1. Wie bewerten Sie, dass einzelne Bundesländer Verfassungsklage
gegen eine ge-setzlich geschützte Verpartnerung homosexueller
Paare eingereicht haben?
- Bündnis 90/DIE GRÜNEN haben
sich stets mit Nachdruck dafür stark gemacht, dass eingetragene
Partnerschaften von schwulen und lesbischen Paaren ermöglicht
werden und dies auch zu Zeiten der rot-GRÜNEN Bundesregierung
durchgesetzt.
Dieses Rechtsinstitut ermöglicht einen wichtigen Schritt
hin zu mehr Gleichstellung und entspricht unserer Vorstellung,
dass niemand wegen seiner sexuellen Orientierung benachteiligt
werden darf. Dass von einzelnen Bundesländern versucht wird,
diesen Schritt in Form einer Verfassungsklage wieder rückgängig
zu machen, wird von uns abgelehnt.
-
- Zu 2. Wie bewerten Sie die Verfassungsklage Bayerns gegen
die Stiefkindadoption für homosexuelle Paare?
- Für das Kindeswohl ist es wichtig,
in einem Umfeld mit stabilen Bezugspersonen auf-zuwachsen und
es ist gerade nicht entscheidend, welche sexuelle Orientierung
diese Bezugspersonen haben. Aus früheren heterosexuellen
Verbindungen hervorgegangene Kinder, sind - wie verschiedene
Untersuchungen belegen - in Familien mit einem leiblichen Elternteil
und nichtleiblichen Elternteil gut aufgehoben und dies insbesondere
dann, wenn die homosexuelle Paare nach ihrem Coming-Out ihre
sexuelle Orientierung selbstbewusst und selbstverständlich
leben. Sachliche Gründe, die dafür sprächen, schwule
und lesbische Paare hier anders zu behandeln als heterosexuelle
Paare, gibt es aus GRÜNER Sicht nicht.
-
- Zu 3. Was denken sie über ein
Anti-Diskriminierungsgesetz, das u. a. die Diskriminierung homosexueller
Menschen untersagt?
Bündnis 90/DIE GRÜNEN
halten ein solches Gesetz für unverzichtbar, um der leider
immer noch bestehenden Diskriminierung schwuler und lesbischer
Menschen in zahllosen Lebensbereichen und Arbeitsfeldern entgegenwirken
zu können.
-
- Zu 4. Wie bewerten sie die öffentlich großen jährlichen
Paraden und Feiern homosexueller Menschen
zum Christopher-Street-Day?
- Gerade Großveranstaltungen, die
dem Lebensgefühl von homosexuellen Menschen öffentlich
Ausdruck verleihen, leisten einen wichtigen Beitrag zu Akzeptanz
dieser Bevölkerungsgruppen. Für junge homosexuelle
Menschen, denen ein Coming-Out angesichts ihres persönlichen
Umfeldes schwer fällt, haben die Veranstaltungen eine wichtige
Vorbildfunktion, da sie fassbar machen, dass schwules und lesbisches
Leben nichts ist, dessen man sich schämen muss, sondern
sie verdeutlichen, dass man(n) und Frau dieses selbstbewusst
leben kann.
-
- Zu 5. Welche öffentliche Form der Entschuldigung und
Distanzierung halten Sie für die Parteien für angemessen,
die in der jungen Bundesrepublik Deutschland die Bestrafung für
männliche homosexuelle Handlungen nach dem von den Nazis
verschärften § 175 StGB veranlasst haben?
- Bis zur Abschaffung des unsäglichen
§ 175 StGB hat dieser viele unschuldige Menschen kriminalisiert,
eine unerträgliche Atmosphäre der Angst verbreitet
und homophobe Vorurteile zur gesetzlichen Strafnorm erhoben.
Umso wichtiger ist, dass er zu Fall gebracht werden konnte. Leider
hat dies die ungerechtfertigte Gleichsetzung von Homosexualität
mit Krankheit und Kriminalität keineswegs aus allen Köpfen
verbannt. Deshalb bleibt die öffentliche Auseinandersetzung
mit der Geschichte des § 175 StGB und der Verantwortung
einzelner Parteien und Institutionen eine wichtige Aufgabe. Mit
Nachdenklichkeit und der Bereitschaft, begangene Fehler einzuräumen,
könnten die damals beteiligten Parteien erheblich dazu beitragen,
im Hier und Heute für weiteres Umdenken zu sorgen. Ob dies
in Form einer Entschuldigung geschehen muss, sei dahingestellt.
-
- Zu Ihren kommunalpolitischen Fragen:
- Zu 1. Sind Sie oder Ihre Partei für die Unterstützung
und öffentliche Förderung eines Lesben-. und Schwulenzentrums
in Wiesbaden, in dem kulturelle und soziale Belange erarbeitet
werden können, denn homosexuelle Menschen sind ja auch SteuerzahlerInnen?
Lesben- und Schwulenzentren für selbst
organisierte Hilfe zur Selbsthilfe, kompetente Beratung und Raum
für eigene kulturelle Aktivitäten haben sich in anderen
Kommunen bewährt. Deshalb stehen wir dieser Forderung ausgesprochen
positiv gegenüber. Für ihre Realisierung reicht es
jedoch nicht aus, städtische Gelder zu mobilisieren. Das
Ganze steht und fällt letztlich mit der Fähigkeit der
betroffenen Gruppen und Einzelpersonen sich unter einander zu
verständigen und eine dauerhafte Arbeitsstruktur aufzubauen.
-
- Zu 2. Sind Sie gegebenenfalls bereit, für die Durchführung
eines Christopher-Street-Days in Wiesbaden öffentliche Unterstützung
zu bewilligen?
- Die Grünen werden einen vorliegenden
Antrag gerne unterstützen.
-
- Zu 3. Sind Sie für einen Gedenkstein, an dem der homosexuellen
Opfer der deutschen Justiz (einschließlich der Opfer in
der Nazi-Zeit) gedacht werden kann?
- Mord, Verfolgung und Diskriminierung
vernichten Existenzen. Das Leiden der hiervon Betroffenen ist
nicht geringer, weil sie solches aus diesem oder jenen Grund
hinnehmen mussten. Zum anderen sagt das Hölderlin-Zitat
"dem Gleich fehlt die Trauer' zu Recht, dass man nicht alles
über einen Kamm scheren darf.
Von daher erschiene uns eine Gleichsetzung der einmaligen Verbrechen
des NS-Regimes mit späteren Rechtsverletzungen von Homosexuellen
problematisch.
Zum anderen wäre aus demselben Grund ein eigener Gedenkstein
für die schwulen und lesbischen Opfer des NS-Regimes unbedingt
zu begrüßen.
Sollten Sie weitere Fragen und Anregungen haben, stehen wir Ihnen
jederzeit gerne zur Verfügung.
-
- Mit solidarischen Grüßen
-
- gez. Stefan Burghardt gez. Dr. Tilli Reinhardt
gez. Rosa M. Winheim
- Fraktionsvorsitzender stellvertr. Fraktionsvorsitzende
frauenpolitische Sprecherin
-
- f.d.R. Georg Habs
Fraktionsgeschäftsführer
|
- Zu dieser Beantwortung unserer Fragen:
- Nett, dass Bündnis90/DIE GRÜNEN uns doch noch geantwortet
hat/haben.
- Das bekundet, dass die fristgerechte Beantwortung unserer
Fragen nicht aus politischem Desinteresse am Thema ausblieb,
wie es ja auch aus dem Anschreiben hervorgeht.
- Immerhin hat das Versäumnis ja nur Bü90/Grü.
selber geschadet, denn unsere Fristsetzung ergab sich ja aus
dem Redaktionsschluss unseres monatlichen Stadtblättchens,
und unsere mögliche Veröffentlichung in der April-Ausgabe
kann erst nach den Kommunalwahlen erfolgen.
-
- Unser Wahlaufruf an unsere Szene ist nach Sichtung der
Antworten auf unsere Fragen weiterhin zutreffend.
-
- Wie bewerten wir nun die Antworten von Bü90/Grü.
auf unsere Fragen?
-
- 1. allgemeine Fragen
- Hier ging es uns um eine grundsätzliche Einschätzung
der uns direkt betreffenden Bereiche der aktuellen Politik.
- zur Antwort 1.1.: Sicher, die Grünen lehnen die
Verfassungsklagen einzelner Bundesländer gegen die Verpartnerung
homosexuelle Paare ab. Aber wie ist das zu bewerten? Dienten
diese gescheiterten Verfassungsklagen nicht vielleicht dazu,
zu demonstrieren, dass die Diskriminierung Hommosexueller der
deutschen Verfassung entspricht?
- zur Antwort 1.2.: Natürlich, das stimmt
mit unserer Auffassung überein. Aber wie ist die Verfassungsklage
Bayerns zu bewerten? Was steckt dahinter?
- zur Antwort 1.3.: Die Einigung der Großen Koalition
über das Anti-Diskriminierungsgesetz sieht vor, den von
der Union so heftig bekämpften Passus über ein Diskriminierungsverbot
Homosexueller zu streichen.
- zur Antwort 1.4.: Diese Einschätzung stimmt mit
unserer Einschätzung über die Funktion des CSDs überein.
Darüber hinaus wird auch der scheinbar unpolitische CSD
zunehmend zu einem Politikum, weil sich konservative Menschen
an ihm reiben.
- zur Antwort 1.5.: der §175 RStGB (später
StGB) stammt aus dem Norddeutschen Bund und wurde bei Reichsgründung
1871 übernommen. Er galt in immer wieder veränderter
Form bis 1994 und wurde erst bei der Rechtsangleichung zwischen
der BRD und der DDR auch im Westen abgeschafft, weil es ihn in
der DDR nicht mehr gab. Nur in 12 Jahren dieser langen Geschichte
galt der 175 unter den Nazis. Die staatliche Schwulen- und in
einigen Regionen und Zeiten auch Lesbenverfolgung ist jedoch
noch viel Älter als der §175 RStGB und StGB, z.B. gab
es nach der "Peinliche(n) Halsgerichtsordnung" von
Kaiser Karl des V. seit 1532 im Artikel 116 die Todesstrafe durch
Verbrennen für homosexuelle Menschen.
- 2. Fragen zur Kommunalpolitik
- Mit welchen Stadträten und Parteien können wir
für was rechnen?
- zur Antwort 2.1.:
- Diese Antwort ist richtig und realistisch, doch was die Gemeinde
dazu beitragen kann ist, städtische Gelder zu Verfügung
zu stellen, durch die ein Zentrum befähigt, seine Aufgaben
zu erfüllen und seine Arbeit nicht von wirtschaftlichen
Erwägungen abhängig machen muss.
- zur Antwort 2.2.:
- Nun liegt es an uns, eine Initiative zur Wiederbelebung des
Wiebadener CSDs ins Leben zu rufen.
- zur Antwort 2.3.: Uns geht es darum, die sehr lange
Verfolgung homosexueller Menschen darzustellen und der Opfer
zu gedenken, von den Opfern in der jungen Bundesrepublik leben
noch viele und haben ihre bürgerliche Existenz verloren.
Das Bundesverfassungsgericht verkündete 1951, der
von den Nazis verschärfte §175 StGB sei mit dem Grundgesetz
vereinbar. Der Bundesgerichtshof urteilte, er habe kein nationalsozialistisches
Gedankengut.
- In der jungen Bundesrepublik unter der damaligen CDU/CSU/FDP-Regierung
wurden mehr Menschen mit dem §175 StGB verurteilt als in
der ganzen Nazi-Zeit, freilich mit anderen Folgen. Ein Gedenkort
für uns muss uns die Möglichkeit geben, auch z.B. der
Opfer der staatlichen Verfolgung der Bundesrepublik Deutschland
zu gedenken.
|