CSD Wiesbaden, Seite 1
Diese Seiten versuchen, die Geschichte des Wiesbadener CSDs Zusammenzufassen, mit alten Artikeln von uns, alten Bildern und nun neuen Artikeln und Bildern.
 
Die Geschichte des Wiesbadener CSD Teil 1
Weil wir den CSD in Wiesbaden gegründet und jahrelang organisiert haben, finden wir, dass wir die Geschichte des Wiesbadener CSDs hier zusammentragen sollten.
 
Der 1. Wiesbadener CSD 1982 und wie wir das damals sahen
1982: Wiesbaden ist eine Stadt ohne besonders große Szene. Im Einzugsgebiet von Frankfurt haben sich die Lokalbesucher oft nach Frankfurt, zum Teil auch nach Mannheim und Kaiserslautern orientiert. Dennoch verfügt die Stadt über ein Traditionslokal, das Pussycats, das (nach dem Schließen der Künstlerklause) das älteste einschlägige Lokal der Stadt ist. Unvergessen auch das L Heure Bleue oder das Petit Beoheme.
 
Die ortsansässige über jahrzehnte einzige Wiesbadener Lesben- und Schwulengruppe ROSA LÜSTE andererseits hat es aber in langjähiger Arbeit geschafft, eine Zeitschrift zu gründen und am Leben zu halten, die LUST; die über das Rhein-Main-Gebiet hinaus ihre Bedeutung hat. Ihr gelang es, in Wiesbaden selbst auch in problematischeren Zeiten in langjähriger Arbeit einiges zu bewegen. Zu den Aktivitäten gehörte es, einen CSD mit eigenem Charakter aufzubauen.
Damals gab es die CSDs nur als überregionale Ereignisse und nur dort, wo eine politische Szene war und das Risiko von Übergriffen, finanziellen Verlust und persönlichen Nachteilen am Arbeitsplatz, vom Vermieter und unter anderen Heteros und die Beschimpfungen und Ausgrenzungen in der Subkultur zu tragen bereit waren.

1982 veranstaltete die damals einzige Gruppe in Wiesbaden, arwöhnisch beäugt von den Gästen mancher Lokale in unserer Szene, den 1. Wiesbadener CSD, den wir allerdings, wie es damals üblich war, Gay-Pride-Day nannten (Demonstration des lesbisch-schwulen Stolzes, denn "gay" ist ursprünglich die amerikanische Bezeichnung für die Menschen in der lesbischen und schwulen Szene).
Nur einige Wirte der Szene unterstützten uns durch positives Interesse, nicht aber viele Gäste der Lokale. Die meinten damals, daß man mit einer Demo nur auf uns Homosexuelle aufmerksam machen würde, was man damals noch für falsch hielt.

Da wir das im voraus wußten aber anders sahen, hielten wir dieses Ereignis bewußt politisch, was es ja vom Ursprung her auch war. Damals gab es nicht in allen Städten was, sondern ein Gay-Pride-Day war überregionales Ereignis. Wir forderten die politischen Parteien auf, mitzukommen und uns bei dieser Demonstration gegen den damals noch existierenden § 175 StGB zu unterstützen. So wollten wir dem Anlaß des Ereignisses in den USA Rechnung tragen, auf die Verhältnisse in unserem Land hinzuweisen und nebenbei auch versuchen, fehlende Masse aus den Reihen der ängstlichen lesbisch-schwulen Wiesbadener Szene auszugleichen.
 
Die ängstlichen WiesbadenerInnen standen dann auch tatsächlich hinter den Autos, um uns zu beobachten, liefen aber nicht mit. Nur einige Spanier vom Staatstheater liefen dauernd auf den Bürgersteig und zogen die sich streubenden Ängstlichen, die sie ja kannten, in unsere Reihen. Auch Amerikaner der Airbase Wiesbaden liefen ganz selbstverständlich mit. Es waren auch Leute Aus Freiburg, Heidelberg, Hagen in Westfalen und aus dem ganzen Rhein-Main-Gebiet dabei. Unser Slogan hieß "Wiesbaden wunderwarm" (in Anlehnung an die deutsche Städtereklame "Wiesbaden Wunderbar") und oh wunder, auch in Wiesbaden ist so etwas möglich, dass "warme Männer" offen auftreten, statt immer "cool" sein zu müssen.
 
Von der SPD gabs damals nicht mal eine Antwort, die CDU fragten wir gar nicht erst. Einer ihrer Sprecher im Bundestag hatte gerade erst verkündet, daß die Rosa-Winkel-Häftlinge in den Konzentrationslagern keine Wiedergutmachung bekommen sollten, da dies die Bestrafung von Straftaten gewesen seien und kein Nazi-Unrecht. Die DKP-Mitglieder blätterten nach unserem Aufruf in ihrem Parteiprogramm. Als sie sich überzeugt hatten, daß dort wirklich die Forderung nach Abschffung des § 175 StGB drinstand, schickten sie die Wiesbadener Ortsgruppe der Jugendorganisation SDAJ mit.
 
Und die wenigen Leute aus der SDAJ, die mitliefen und sich auf wunderwarme Weise für die warmen Lebensrechte einsetzten, meinten, man müsse in unseren Reihe doch mal über gute Slogans nachdenken. Die Wiesbadener Liste (eine der Vorläuferorganisationen der Grünen, die von uns mitgegründet worden war), lief mit, während ein dortiges Mitglied die Sache mit der schwierigen Beteiligung auf den Punkt brachte: man wolle in einer Stadt, wo man überall Bekannte treffe, nicht als Schwuler verdächtigt werden. Die FDP meinte, sie könne trotz Sympatie mit unseren Zielen nicht mitkommen, um sich nicht der Verdacht auszusetzen, man mißbrauche hier eine Minderheit als billigen Wahlkampftrick.
 
In den Reisinger Anlagen, dem heimlichen Ort nächtlicher Begegnungen, führten wir nach der Demo nun öffentlich ein Picknick durch. Warum sollen Parks nicht ganz eindeutig für uns nachts eine Funktion haben, wenn sie diese schon haben? Und vom Spätnachmittag an und am Abend gabs ein Fest mit tollem Programm und Disco auf dem Neroberg im "Nero". Am nächsten Tag führten wir ein gemeinsames Frühstück im Cafe "Quasimodo" des Behindertenvereins für die in Wiesbaden Übernachtenden durch. In diesem Cafe trafen wir uns damals zum monatlichen "Kaffeklatsch mit Ansichten".

In den Lokalen standen die "feineren" Herren, ein Bierglas in der Hand, und versuchten bei jungen Leuten dadurch Eindruck zu machen, daß sie über die Demonstration hetzten. Heute, wo alles selbstverständlicher ist und man in einigen Städten damit auch Geld verdienen kann, organisieren möglicherweise die gleichen Herren selbst Feste unter dem Namen CSD, um bei jungen Leuten dadurch Eindruck zu machen. So ändern sich die Zeiten.
 
Hier die Bilder, die bei der Gay-Pride-Demonstation 1982 durch die Innenstadt von Wiesbaden, dem Picknick in den Reisinger Anlagen und bei der Gay-Pride-Party 1982 im NERO auf dem Neroberg gemacht wurden.
 
 
 WIESBADEN WUNDERWARM
das war 1982 unser Motto, indem wir die Schimpf- und Spottbezeichnung für homosexuelle Männer "Warme Brüder" für die Gay-Pride-Demonstration in den Spruch der Städtereklame "Wiesbaden Wunderbar" einbauten. "Gay Pride", also der Stolz (Pride) der schwulen, lesbischen, trans- und intersexuellen Szene (zusammen Gay) über den Sieg der Gay-Szene in der Christopher Street in New York, ausgehend von Lokal Sonewall Inn am 26.06.1969.
Wir wollten in diesem übebrregionalen Ereignis, zu dem die Wiesbadener Gruppe ROSA LÜSTE am 26.06.1982 eingeladen hatte, der Aufstände in New York und der Geschichte der Verfolgung schwuler Männer in Deutschland, speziell in Wiesbaden, gedanken. Deshalb forderten wir die Abschaffung des § 175 StGB, der von 1945 bis 1969 noch in seiner Nazifassung galt (und dann noch bis 1994 existierte).
Dieser erste Wiesbadener CSD, der damals auch in Deutschland wie überall Gay-Pride-Day hieß, war ein historisches Ereignis für die Schwulen und Lesben im Rhein-Main-Gebiet und darüber hinaus. Die ROSA LÜSTE, die sich in Joachims und Renates WG in Wiesbaden traf (und noch trifft), war zu diesem Zeitpunkt schon überregional vernetzt.
Die Bilder wurden von Gerdi und anderen TeilnehmerInnen aus der Wiesbadener Gruppe gemacht, die Bilder in schwarz-weiß von Lothar aus der WG in Frankfurt.
Ihr findet hier die Bilder von der Demonstration, dem Picknick in der Reisinger Anlagen (Wiesbadens damaliger Cruising-Park), den wir frech an diesem Tag für uns öffentlich nutzten, und von dem Fest im NERO auf dem Neroberg.
 
   
   
   
   
   
   
   
   
   
    Ihr findet hier nun einige Bilder von dem Picknick in der Reisinger Anlagen (Wiesbadens damaliger Cruising-Park, gegenüber dem Bahnhof), den wir an diesem Tag stolz für uns nutzten.
   
   Die folgenden Bilder sind vom Gay-Pride-Fest im Nero auf dem Neroberg
   

 

Zwischen den einzelnen Auftritten konnten sich die Wiesbadener ortsansässigen Initiativen vorstellen und natürlich, das waren die mit uns befreudeten politischen Umwelt- und Friedensgruppen usw sowie die angereisten lesbisch-schwulen Initiativen.
 
Zuerst trat Thomas W. aus Frankfurt mit seinem Tanz auf, Joachim trug eigene Gedichte aus dem schwulen leben vor, begleitet von Stefan auf der Gitarre, dann die Tanimaranda-Blues-Band, anschließend das Frankfurter Laien-Theater "Masnnstoll" und zum Schluss die Wiesbadener Band "Contract". Danach gabs Disco.
 
   
   
   
   
   

 Später gabs noch die Möglichkeit zu tanzen, miteinander zu quatschen und die Buch- bzw. Infostände zu besuchen. Hier standen die befreundeten Organisationen und wir mit unserem politischen bzw. lesbisch-schwulem Gedruckten.

Die BesucherInnen des CSD 1982, die in Wiesbaden übernachteten, konnten sich noch am nächsten Tag ab 11 Uhr zum gemeinsamen Frühstück im Cafe Quasimodo treffen.

Das wars also 1982 in Wiesbaden.

 
   
 
Der überregionale CSD in Wiesbaden war eine einmalige Geschichte. Danach wars erst mal wieder ruhig in der Stadt aber eben auch in den anderen Städten in unserer Region.
Erst als in der einen nach der anderen Stadt Sommerfeste veranstaltet wurden, die dann zwar nicht mehr Gay-Pride genannt wurden, sondern CSD, überlegten wir uns, wie es in den anderen Städten schon der Fall war, 1994, zum 25. Jahr nach Stonewall, in Wiesbaden auch ein Sommerfest zu machen, und zwar zaghaft erst einmal im Cafe Klatsch.
 
2. CSD in Wiesbaden
im Cafe Klatsch, 1994, im 25. Jahr nach Stonewall. Was wir nicht wussten, war, dass im Herbst aufgrund der Vereinigung der beiden deutschen Staaten bei der Rechtsangleichung der § 175 StGB endlich vollkommen aus dem Strafgesetzbuch weggefallen ist, weil es ihn inder DDR nicht mehr gab.
 
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